Olympia ist ja nun definitiv weg. Der Flughafen immer noch nicht fertig. Das ist aber eigentlich ganz praktisch, denn die Baustelle macht sich immer noch gut als running gag. Eine verbindende Zukunftsvision für diese Stadt gibt es nicht wirklich. Wenn man fragt, was die in Berlin Wohnenden miteinander verbindet, sagen viele: Außer dem Namen Berlin – nichts! Die Stadt ist einfach zu groß, zu vielgestaltig, zu disparat. Dementsprechend orientieren sich die meisten vor allem an dem Ort, in dem sie wohnen, und dem Ort, in dem sie arbeiten (was durchaus eine Fahrtstunde auseinander liegen kann).
Man sagt auch: „Berlin ist nicht eine Stadt, es ist 86 Städte“. Ich weiß nicht ob die Zahl stimmt, aber gemeint sind die Stadtteile. Denn auch die 12 Bezirke sind schon wieder zu groß und nochmal unterteilt in Lebensräume, Kieze, Siedlungen, die oft nur wenige Straßen umfassen. So wohnen wir am Rande der Rollberge-Siedlung in Waidmannslust, was wiederum einer von 10 Stadtteilen im Bezirk Reinikendorf ist. Und so hat nicht nur jeder Bezirk oder jeder Stadtteil, sondern jeder Kiez seinen eigenen Charakter, seine Chancen und Probleme.
Was also verbindet?
Die Berliner Stadtmission folgt dem Biblischen Leitwort „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn“.
Kein Wunder, dass die Stadtmissionsarbeit in dieser Stadt so extrem vielgestaltig ist.
Aber wenn man das nicht dem Zufall überlassen will, sondern durchdenken, womöglich theologisch durchdenken, wird das zu einer hoch komplexen Angelegenheit. So gibt es seit einem guten Jahr ein Netzwerk für Theologie der Großstadt, oder auch „urbane Theologie“, koordiniert von einer Sonderstelle im Kirchenkreis Schöneberg. Vor einigen Wochen haben wir in diesem Zusammenhang einen kleinen Lesekreis „urbane Theologie“ gegründet. Da lesen und diskutieren wir wissenschaftliche Texte zum Thema und versuchen zu klären, welche theologischen Fragen, Ansatzpunkte und Aufgaben sich aus eben dieser komplizierten Zusammenballung von Lebensräumen, Sozialräumen und Gestaltungsräumen ergibt.
Früher dachte man einfach: eine Stadt prägt ihre Menschen. Inzwischen aber fragt man genauso in umgekehrte Richtung: Wie prägen Menschen eine Stadt?
Und damit sind wir nun vielleicht doch bei dem, was viele in den unterschiedlichsten Teilen von Berlin miteinander verbindet: Die Frage, wie man gemeinschaftlich das Leben im Kiez (und darüber hinaus) prägen kann.
So war ich vorletzte Woche auf zwei verschiedenen Veranstaltungen von Bürgerschaftsengagement. Zunächst haben Sven Lager vom ShareHaus und ich an einem Treffen des „Quartiersmanagements“ Reuterkiez in Neukölln teilgenommen, weil wir in Kürze unser traditionsreiches, 5stöckiges Gebäude Lenaustraße 4 mit einem ganz neuen Konzept füllen möchten: „ShareHaus Refugio“ – eine Kombination aus Kiez-Café, ShareHaus, Stadtkloster sowie Wohnungen für Flüchtllinge und andere, die sich an Gemeinschaftsaufgaben beteiligen und einen Akzent im Kiez setzen wollen. Und weil der ShareHaus-Gedanke im Kern davon ausgeht, mit anderen zusammen Leben, Ideen, Gaben, Zeit zu teilen, müssen wir uns natürlich entsprechend im Kiez vernetzen.
Diese Quartiersmanagement-Versammlung war aber ein Treffen ausschließlich von „Sozial-Profis“ mit entsprechend etwas merkwürdigem Flair. Denn dabei geht´s immer auch um Pfründe, die jeder wahren bzw. vom Bezirk abgraben will. Obwohl wir zum ersten Mal dabei waren, merkten wir relativ schnell, welche Diskussionen zwischen welchen Personen offenbar nicht zum ersten Mal so abliefen.
Ganz anders bei dem anschließenden gemeinsamen Abend der Bürgerplattformen Südost, Neukölln und Wedding-Moabit in der „Alten Försterei“, genauer: einem Veranstaltungssaal im Stadion von Union Berlin. Das war – abgesehen von Susanne Sander, der zierlichen, aber extrem umtriebigen Organisatorin vom Institut für Community-Organizing – überwiegend ein „Laientheater“. Hi
er stellten sich die verschiedenen Bürgerplattformen mit ihren aktuellen Projekten vor. Das sind echte Bürgerinitiativen, die vor der eigenen Haustüre kehren. Da geht es um fehlende Parkmöglichkeiten und Ergänzungsstraßenbahnen bei Großveranstaltungen, um Wege durch die „Wuhlheide“ in Köpenick usw. .
Oder – und das hat mich wirklich berührt – um eine Initiative in Neukölln für einen islamischen Friedhof. Vehement beschwor ein türkisch-stämmiger Bestatter die Notwendigkeit: „Wir sind hier zu Hause! Wir sind keine Gastarbeiter mehr! Wir wollen da beerdigt werden, wo wir zu Hause sind!“ Und ein junger Mann aus Bangladesh erzählte unter Tränen von der Totgeburt, die seine Frau vor einem halben Jahr hatte. Nach langer Suche habe sich ein islamischer Friedhof am anderen Rand von Berlin für die Bestattung des Babies gefunden.
Und plötzlich entstand eine Bürgerschafts-Solidarisierung zwischen den urberliner, eher konservativen Köpenickern und den Muslimen aus Neukölln: „Danke, dass wir hier bei euch in Köpenick unser Anliegen vorstellen durften“, sagten die einen unter dem Riesenapplaus der rund 250 Teilnehmer. Und die Organisatorin aus Köpenick antwortete: „Danke, dass ihr hier zu uns raus gekommen seid. So können wir zeigen: In Köpenick sind längst nicht alle Rassisten.“ Und wieder riesiger Applaus.
Die einzelnen Beiträge waren wirklich sehr laienhaft. Aber das störte hier keinen. Ganz deutlich überwog das Gefühl: Wir unternehmen gemeinsam etwas für Berlin!
Nebenbei fand ich höchst interessant, dass sich die Bürgerplattform Südost (also Köpenick) etwa zur Hälfte aus verschiedenen kirchlichen Gruppen zusammensetzt.
„Gemeinsam für Berlin“ ist aber nun nicht nur ein Motto, sondern auch der Name eines christlichen Netzwerkes (e.V.), das versucht, die unterschiedlichsten christlichen Kirchen, Gemeinden und Denominationen in Berlin miteinander zu verknüpfen, um so gemeinsam in Berlin auch deutliche christliche Zeichen setzen zu können.Am Samstag, dem 21. März fand in der Baptisten-Gemeinde in Schöneberg das „Gemeinsam für Berlin Fest“ statt. Selbstbewusste Überschrift „Berlin von seinen besten Seiten“. Auch hier wurden unterschiedliche Projekte vorgestellt. Eine hochinteressante, hoch professionelle und zugleich sehr lockere und kommunikative Veranstaltung, bei der viele Christen aus allen Kontinenten selbstverständlich dazu gehörten. Berliner und Neuberliner mit einer großen Gemeinsamkeit: den Glauben an Christus – und einem gemeinsamen Ziel: die Liebe Gottes in der Stadt erfahrbar zu machen.
Auch wenn der Veranstaltungsort nicht so ganz mein Ding ist – eine sehr amerikanisch geprägte Baptistenkirche – und mir ein paar Voten einen etwas zu frommen Zungenschlag hatten: Eine solche interkulturelle Gemeinschaft sehr unterschiedlicher Menschen macht Hoffnung: für Berlin und vielleicht auch darüber hinaus.