Archiv für den Monat Juli 2017

Summer and the City

In den Sommerferien nicht oder nur wenige Tage in Urlaub zu fahren, hat auch gewisse Vorteile. Auf der Arbeit ist die tägliche Mailbox nur zu 30% des sonst Üblichen gefüllt – weil halt die anderen in Urlaub sind und keine Arbeit machen ;-). Die Wochenarbeitszeit lässt sich in die Näher einer 40-Stundenwoche senken. Und: Endlich mal wieder Zeit zu berliner Entdeckungsreisen. Wenn das Wetter dabei schön ist, ist schön. Wenn nicht – auch nicht so schlimm.

Das heißt: Die Regenmassen, die Ende Juni hier innerhalb von zwei Tage fielen, füllten nicht nur viele Unterführungen, Keller, Gärten und U-Bahnstationen. Sie ließen auch die Spree um über 60 cm ansteigen. Auf dem Rhein wäre das nicht der Rede wert (da ist Platz für einige Meter). Aber hier führt das dazu, dass die Spreeschiffe einfach nicht mehr unter den Brücken her passen. Und so fiel auch unsere Juli-Ausgabe von „Mit Gott auf der Spree“ (unsere touristischen Schiffstour mit religiösen Hintergrundgeschichten und Anekdoten) am 2. Juli in Wasser.

Bei uns am Tegeler Fließ ist der Grundwasserspiegel inzwischen auch so hoch, dass ein heftiger Regentag wie vergangenen Dienstag direkt wieder zu neuen Überflutungen führen. Auf so einem Uferweg muss man entweder die Schuhe ausziehen, oder einen weiten Umweg machen.

Allerdings bieten die extremen Wetterlagen auch immer wieder eindrucksvolle Naturschauspiele. Jedenfalls, wenn man – wie wir – vom 13 Stock aus beobachten kann, wie die Gewitter über Berlin ziehen. Oder wie sich nach einem langen Regentag am Abend plötzlich eine irgendwie romantische Nebelstimmung einstellt, so wie bei diesem Blick aus unserem Treppenhaus über Berlin-Hermsdorf:

Ganz anders das zurückliegende hochsommerliche Wochenende, wo wir mit Freunden aus Köln durch Berlin gestreift sind. Die kannten z.B. die Eastside-Gallery noch nicht, dieses erhaltene Mauerstück, dass 1990 in einem großen Kunstprojekt gestaltet und seit dem bereits viermal „renoviert“ wurde (das Titelbild hab ich da fotographiert).

Hier drängeln sich natürlich die Touristen. Unzählige Selfies und gegenseitige Fotos werden geschossen. An einigen Stellen geht der Blick über die Spree ins immer noch ganz schon verranzte Kreuzberg.

 

Aber dazwischen erhebt sich inzwischen ein hochmoderner Wohnblock mit unbezahlbaren Eigentumswohnungen, für die es aber offenbar doch finanzkräftige Käufer gibt.

Und gleich gegenüber werden rund um die Mercedes-Benz-Arena im großen Stil Büros und Gewerberäume gebaut.

Zum Sommer in der City gehört natürlich der Raddampfer genauso wie total versiffte Grünstreifen und Parks. Barfuß sollte man hier nicht unterwegs sein.

 

Und dazwischen: Osteuropäische Trickbetrüger, immer mit der gleichen Masche („Unter welchem Deckel ist die Kugel“), wobei es immer ein paar im „Team“ gibt, die sich als Touristen ausgeben, Lockvogel-mäßig mitspielen und natürlich 50 € gewinnen. Taucht jemand auf, der eine Zivilstreife sein könnte, löst sich die Gruppe in Sekunden auf und verschwindet samt Unterlage und Spielsteinen im Touri-Volk.

Interessante Typen gibt es in Berlin ohne Ende zu beobachten, wie das Pärchen am Eingang zu einem Boothotel auf der Spree oder die „Gesprächsgruppen“ am Eingang zum berühmt-berüchtigten Görlitzer Park („Görli“).

 

Wunderbare Menschen, konkret Musiker haben wir erlebt am Freitag vor einer Woche in der Musiklaunch („locis loft“) hier in Waidmannslust, versteckt hinterm Obi. Eine spontan organisierte „Jam-session“ afrikanischer Musiker war im Internet angekündigt worden. Und weil wir dort immer schon mal hin wollten und auch keine Lust hatten, noch mal in die Stadt zu fahren, haben wir die Gelegenheit genutzt. Getränke: ziemlich teuer. Flammkuchen: Nicht teuer und riesig. Musik: begeisternd.

Zunächst begann der vor vier Jahren aus dem Tschad gekommene jetzt berliner Gitarrist, Sänger und Bassis mit dem Künstlernamen „Willy Sahel“. Brilliant auf der Gitarre, samtige, extrem flexible Stimme, tolle Songs.

Willy Sahel moderierte auch den ganzen Abend, wo die Band aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern nach und nach wuchs:

Ein Percussionist, ein Gitarrist aus Mosambique , eine Sängerin (für einen Song) aus Lesotho und schließlich der als Haupt-Gast angekündigte ivorische Sänger und Gitarrist: David ToyaraultAlles improvisiert, auf Zuruf, häufig unter Einbeziehung des Publikums, das (natürlich) die vocal-Kapriolen nicht vollständig nachsingen konnte – und total viel Spaß, extrem entspannt! Irgendwann hat es einen nicht mehr auf den Stühlen gehalten. Und es wurde ausgelassen getanzt. Dabei waren höchsten 25 Leute in der Loft, allerdings offenbar die Hälfte irgendwelche Freunde und Bekannten.

Nach gut 1 1/2 Stunden ging die Truppe von der Bühne, nicht ohne dass Willy Sahel einlud: „Hier gibts bestimmt noch mehr tolle Musiker. Hier stehen die Instrumente. Jetzt seid ihr dran mit Jam-Session.“

Auf diese Weise hatte auch ich die Gelegenheit, zum ersten Mal überhaupt auf einer „Bass-Ukulele“ zu spielen. Sehr leicht zu bedienen und wunderbar pelziger Sound.

Afrikanische Akkordwechsel sind ja nicht wirklich kompliziert. Und so durfte ich zwei improvisierte Titel mit-jammen, was mir natürlich tierisch Spaß gemacht hat, wie ihr euch vorstellen könnt:

__________

Ein besonderes Sommererlebnis kann man in Berlin aber jeden Abend öffentlich zugänglich machen: Nach Einbruch der Dunkelheit wird auf die Fassade des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses (Bundestagsbibliothek) eine 30 Minütige Präsentation über die Geschichte des Reichtages und zugleich die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Deutschland projeziert. Abgesehen von der Faszination, was heute medientechnisch alles möglich ist, bewegen einen die Bilder und Original-Töne aus den zurückliegenden 123 Jahren seit dem Bau des Reichstages. Und pro Aufführung sitzen Hunderte auf den Spreetreppen neben dem Reichstag und bekommen eine grundlegende Schulung in Demokratie, u.a. über die Bedeutung der Gewaltenteilung – und wie entscheidend es ist, als Demokratie immer selbstkritisch zu bleiben, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert es formuliert hat.

Wer in diesem Sommer noch Gelegenheit hat, sich das anzuschauen, sollte sich das jedenfalls nicht entgehen lassen.

Zu diesem Sommer gehören aber auch einige Veränderungen in der Stadtmission:

In unserer St. Lukas-Kirche, wo ich monatlich predige, wird endlich der marode Boden rausgerissen, unter dem neuen eine Fußbodenheizung und Kabelkanäle gelegt und die dringend nötige Renovierung durchgeführt.

Im Zentrum am Hauptbahnhof wird zunächst eine große Regenwasser-Rigole im Innenhof versenkt, bevor dann die Bauarbeiten für zusätzliche Büros beginnen.

 

Das Refugio bekommt eine neue Farbe um den Eingang und endlich vernünftige Sitzmöbel für das Straßen-Café vor der Tür.

Hier unser neuer Refugio-Leiter Harut (Harutyun Harutyunyan) beim Leiter-Halten.

 

Und: Nach zweieinhalb Jahren ist am vorigen  Montag die Traglufthalle im Poststadion als erste berliner Notunterkunft für Flüchtlinge geschlossen worden.
„Ca. 23.000 Menschen haben in der Traglufthalle gelebt. Mit 22 Monaten wohnte ein Bewohner den längsten Zeitraum in der Kruppstraße. Der älteste Bewohner war 83 Jahre alt, die größte Familie hatte acht Mitglieder und in der Zeit sind 20 Babys geboren. Für viele Kinder war die deutsche Sprache die erste Sprache, die sie gehört und gelernt haben.“ Heißt es dazu auf unserer Homepage: ( https://www.berliner-stadtmission.de/aktuelles/schliessung-der-traglufthalle-fuer-fluechtlinge/8116e6c44655ddf0c18939e8ab6f31a8 )

Da musste innerhalb weniger Tage alles rausgeräumt und abgebaut werden, damit keine unnötigen Kosten entstehen. Natürlich wurde in verschiedenen Formen Abschied gefeiert, manchmal auch mit Tränen. Und alle sind sich einig: Das war ein ganz besonderes, ein einzigartiges Projekt, das durch die große menschliche Zugenwandheit des ganzen Teams (einschließich Security) zu Recht im vorigen Jahr den Integrationspreis von Berlin Mitte gewonnen hat.

Foto: Berliner Stadtmission

Foto: Berliner Stadtmission

So haben nicht alle einen Luftsprung gemacht, wie diese beiden nach geschaffter Aufräumarbeit.

 

 

 

 

Aber zur Zeit bewirbt sich die Stadtmission (mit dem Kern des Teams und so auch Christiane) um die Leitung einer regulären Flüchtlingsunterkunft.

Foto: Berliner Stadtmission

 

Wie auch immer: By by, balloon…