Katalanisches Referendum – der 1. Oktober 2017

Es ist noch dunkel, als schon über unserer Ferienwohnung nahe der Sagrada Familia ein Polizeihubschrauber knattert. Als wir gegen 10.30 aufbrechen, ist bereits die übernächste Straße blockiert durch eine große Menschenansammlung. Offenbar gibt es dort ein Wahllokal, vor dem die Leute schon so früh Schlange stehen. Irgendwo davor steht ein recht entspannter Regionalpolizist und: Tut nichts anderes als den Verkehr zu regeln. Ein Bild, das wir an diesem Tag noch häufig sehen werden.
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Wenige Kreuzungen weiter ist die Situation völlig anders. Wir werden von aufgeregt gestikulierenden Verkehrspolizisten gestoppt, und schon kommt von rechts eine schwer gepanzerte Einheit der guardia civil, also der Bereitschaftspolizei der Zentralregierung. Um sie herum laufen zornige Demonstranten, unsortiert und chaotisch das Ganze, guardia civil da schon von einer bedrohlichen Unerbittlichkeit.
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Wie sie später auf Menschen jeden Alters eindreschen werden, die in Sitzblockaden Wahllokale schützen wollen, oder gerade ihre Stimme abgegeben haben, sehen wir erst abends im Fernsehen. „Auftragsgemäß und angemessen“ werden die Einsätze von Madrid genannt, durch die fast 500 Menschen verletzt werden. Die Katalanen aber zeigen sich als friedliche Menschen, protestieren gewaltlos mit erhobenen Händen und teilweise singend. Ein beeindruckendes Beispiel gewaltlosen Widerstandes.

Wir fahren die Costa Durada Richtung Tarragona und stellen irritiert fest, dass in den meisten dieser Seebäder jeder Hinweis auf das Referendum fehlt. Keine Fahnen oder si -Tücher. Eher vereinzelte Spanische Flaggen. Ganz anders dann in Tarragona, der wunderschönen Stadt mit den beeindruckenden römischen Bauwerken. Allein in der überschaubaren Altstadt treffen wir auf vier Orte für Stimmabgabe. Und gleich vor der ersten warten die Menschen in zweihundert Meter langen Schlangen von beiden Seiten. Sie warten stolz, ja fröhlich und völlig entspannt. Es hat was von Familienfest.

Bei dem Wahllokal neben den Ruinen des römischen Zirkus erleben wir, wie der erste nach der Stimmabgabe wieder auf die Straße tritt und von den Wartenden mit frenetischem Applaus bejubelt wird: Ein alter, gebeugter Mann, gestützt von zwei jüngeren Menschen.

Auch in den Orten im Parc National Serra de Montsant, wo wir heute noch hinkommen, immer wieder das gleiche Bild: Ansammlung von Menschen, die sich selbst feiern: selbstbewusst und friedlich, auf der Treppe zum Marktplatz zu einem Dorfgemeinschaftfoto wie in Falset oder an einem longtable neben der Kirche wie in dem eng an die Felsen gekauerten Dörfchen La Vilella Baixa.

Inzwischen wird es Abend und die Menschen sitzen zusammen vor einem auf der Straße aufgebauten Fernseher, um die laufenden Berichte im Katalanischen Sender zu verfolgen. Über 3 Millionen Stimmen sind abgegeben worden. Das ist unter den gegebenen Umständen eine enorm hohe Zahl. Dieweil tritt Ministerpräsident Mariano Rajoy vor die Presse und erklärt ungerührt, er sei der Präsident aller Spanier und das Ganz sei einfach nur illegal und eine wiederrechtliche Provokation. Und überhaupt sei das Recht auf seiner Seite und das Referendum undemokratisch. Und deshalb sei er auch weiterhin als Präsident aller Spanier dafür verantwortlich, dass die Einheit der Nation gewahrt bleibe. Usw. 20 Minuten lang immer das Gleiche. Deutlicher kann ein Präsident nicht sagen, dass ihn die Interessen einer Region definitiv nicht interessieren. Er war es übrigens, der 2010 das vier Jahre vorher zwischen Madrid und Barcelona ausgehandelte Abkommen wieder kippte. Und jetzt schickt er seine paramilitärische Polizei in die Region und lässt sie Menschen zusammenschlagen. Kein Wunder, dass die Katalanen sich schrecklich an die Franko- Diktatur erinnert fühlen, die in Spanien wohl bis heute noch nicht ansatzweise aufgearbeitet worden ist. Nach dem heutigen Tag werden die begründeten Aversionen gegen die Spanische Zentralmacht jedenfalls alles andere als kleiner werden. Und das Töpfeschlagen um 22 Uhr geht weiter auch in dem kleinen Bergdorf im Schein eines ungerührten Mondes.
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