Viel ist geschehen seit meinem letzten Blog. So viel, dass ich mal wieder monatelang nicht zum Schreiben gekommen bin. Einen aktuellen Bericht über mein Arbeitsfeld bei der Berliner Stadtmission habe ich überschrieben mit „Jahr der Innovationen“. Und bevor ich von unserer Äthiopienreise berichte, möchte ich stichtwortartig die neuen Projekte und sonstigen Innovationen aufzählen, die seit letzem Sommer allein im Bereich Mission auf den Weg gebracht worden sind:
- Gründung der Iranischen Gemeinde
Überreichung der Gründungsurkunde durch Stadtmissionsdirektor J.Lenz
am 9.9.2017 (mit inzwischen bis zu 70 Teilnehmenden, davon in den letzten drei Jahren fast 30 ehemalige Muslime getauft.)
- Missionarische Bildungsarbeit mit benachteiligten Kids im Gesundbrunnenkiez (Gemeinde Wedding, Stettinerstraße) mit der Theologin und Tanz- und Theaterpädagogin Rebecca Aßmann. Gleichzeitig Wiederaufnahme einer überregionalen Netzwerkarbeit „Winterspielplatz“ (eine geschützte Wortmarke der Berliener Stadtmission).
- Einführung der neuen Gemeindeordnung zum 1.1.2018 (zur Erprobung) mit 5 verschiedenen Gemeindeformen und gestufter Zugehörigkeit.
- Umwandlung der Gemeinde Wilmersdorf zu einer „Einrichtungsgemeinde“ der Citystation zum 1.1.2018, d.h. die geistliche Arbeit ist integraler Bestandteil der Einrichtung. An einer gesamten Neukonzeption des Standortes wird weiterhin fachbereichsübergreifend gearbeitet.
- Friedrichshagen: Kauf des angrenzenden Grundstücks. Erste Konzeptionsüberlegungen für einen Neubau: Geistliches Zentrum für Einkehrtage u.ä. und neue Wohneinheiten für Eingliederungshilfe.
- Umwandlung des Studentenwohnheims in der Lehrterstr. in „Junges Wohnen“ für Studierende und Azubis als Wohngemeinschaft mit gemeinsamem geistlichen Leben, durch Mentoren begleitet.
(In Verbindung damit: Das von Simon Klaas selbst gebaute Tinyhouse „Tabernakle“ im Innenhof als Communityprojekt und Gestaltungsraum, zusammen mit „water 2 wine“)
- zeit.laden: Lichtenberg (Friedrichsfelde, Sewanstraße), Anmietung eines Ladenlokals für familienorientierte Nachbarschaftsarbeit (im Vorfeld des Familienzentrums in der Archenholdstraße) zum 1.1.2018. Konzeptionsentwicklung einer offenen Lebensberatungsstelle. Kombination beider Projekte an dem einem Standort als „zeit.laden“. Eröffnung am 17.5.2018 mit hochrangigen Vertretern aus dem Bezirk. Die Leitung hat Stadtmissionar Pfr. Ole Jaeckel-Engler, ausgebildeter Psychotherapeut und Supervisor.
- „Geistliche Präsenz in der Heidestraße“: Gemeinsame Planungen mit der Ev. Gemeinde Tiergarten, um im Neubaugebiet nördlich des Hauptbahnhofes (mit 3800 neuen Wohnungen) früh einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen für ein Projekt zur Communityentwicklung, Einsamkeitsüberwindung und geistlichen Angeboten.
- Wohnungslosenseelsorge: Nach jahrelangem Suchen haben wir mit Helga Stamm-Berg endlich eine geeignete Person für diese Aufgabe in verschiedenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gefunden, die ihre Arbeit sehr strukturiert und engagiert angeht.
- 140 Jahre Gemeinde Frankfurter Allee (Friedrichshain). Das klingt nur nach Jubiläum und nicht nach Innovation. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich die Gemeinde für Nachbarschaft und Kiez interessiert und geöffnet in einer Art und Weise, die zu rasanter Neubelebung und missionarischer Entwicklung geführt hat. Wir sind gerade dabei, finanziert durch unsere Innovationsbudget zusätzliches Personal einzustellen, um die wachsende Gemeinwesenarbeit besonders mit Kindern bzw. Familien überhaupt stemmen zu können.
- Refugio: Das Refugio (gemeinsames Wohnen von Geflüchteten und Einheimischen u.v.m.) ist offiziell zum 1.6.2018 vom Bereich Mission in den Bereich Diakonie gewechselt (was Budget, Personalverantwortung und strategische Entwicklung angeht). Weitere Fachkompetenz aus dem Bereich Begegnung engagiert sich in der Weiterentwicklung von Café und Tagungsbereich. Ich bleibe beratend insbesondere für die geistliche Entwicklung und Kooperation mit dem Kreuzbergprojekt beteiligt (aber eben ab jetzt ohne den Hut aufzuhaben). Das ist eine wirkliche Erleichterung für mich, nachdem ich in den zurückliegenden drei Jahren sehr viel Zeit und Kraft dort hineingesteckt habe. Wir hoffen, dass die breite Fachkompetenz das Refugio als einen Leuchtturm der Stadtmission nochmal wirklich voranbringt.
So, aber jetzt ab nach Äthiopien. Wobei auch diese Reise einen Stadtmissions-Hintergrund hat. Denn eingeladen wurden wir vom derzeitigen Gesandten (also stellvertretenden Botschafter) der Bundesrepublik in Addis Abeba, Matthias Schauer und seiner Frau Katharina, die vorher ehrenamtlich bei der Stadtmission im Trägerkreis der „Frühschicht“ engagiert waren (dem Gesprächsfrühstück für Ministerialbeamte und Menschen aus ähnlichen Arbeitsfeldern).
In einem faszinierenden Land mit sehr freundlichen und zugleich stolzen Menschen sind wir da gelandet. Im einzigen afrikanische Land, das nie kolonialisiert worden ist (abgesehen von einigen Jahren italienischer Besetzung während des 2. Weltkrieges). Ein Land, das die Wurzeln seines König- bzw. Kaisertums auf Menelik I. zurückführt, der Überlieferung nach dem gemeinsamen Sohn von König Salomo und der Königin von Saba. Ein Land mit großer Geschichte und schwieriger Gegenwart unter der sozialistischen Regierung mit Planwirtschaft. Ein Land in dem Steinzeit (bei den indigenen Volksgruppen im Süden, wo wir nicht waren), Mittelalter (in der Landwirtschaft) und Generation Smartphone gleichzeitig nebeneinander existieren; in dem als Transportmittel wahlweise Lastenträger, Esel oder Kamele, Tuktuks, Minibusse, LKWs oder modernste Propellerflugzeuge in Frage kommen (je nach Budget).
Aber eins nach dem anderen und alles mit Bildern:
Der Überlieferung nach hat Makeda, die Königin von Saba, ihren Sohn Menelik als jungen Erwachsenen für drei Jahre zum royalen Praktikum nach Jerusalem geschickt, von wo er dem Befehl eines Engels folgend und unter dessen Schutz die Bundeslade aus dem Tempel stibitzt und nach Äthiopien überführt hat.
Daraufhin musste Salomo in Jerusalem leider eine Kopie anfertigen und aufstellen lassen. (Jede orthodoxe Kirche in Äthiopien hat übrigens auch eine Modell der Bundeslade. Ohne Lade keine Kirchweihe.)
Nach verschiedenen Stationen steht die angebliche originale heute in Axum in diesem im 1965 zwischen alter und neuer Kathedrale errichteten Gebäude mit der grünen Kuppel, dem höchsten Heiligtum der äthiopisch -orthodoxen Kirche. Diese Kirche, zu der heute 60% der Äthiopier gehören, hat von jeher eine ganz enge Beziehung zum Judentum wie wohl keine andere christliche Denomination.
Axum (in der nördlichsten Provinz Tigray) wurde im 1. Jahrhundert n.Chr. zu einer bedeutenden Stadt und wohl bald auch zur Hauptstadt Äthiopiens. Die berühmten Stelen, Teile von Grabmälern, stammen aus dieser Zeit und sind über 20 m hoch.
Im 17. und 18. Jahrhundert trat dann Gondar als Königsstadt in den Vordergrund. Heute besichtigt man dort die Ruinen einer beeindruckenden weitläufigen Schlossanlage. Der Legende nach hatte sich Kaiser Fasilidas in den Bergen verirrt, als aus einem Teich ein alter Mann aufstieg und ihn anwies, genau hier ein Schloss zu bauen. Später bekam er auch noch die Anweisung, viele Kirchen zu bauen – und zwar als Strafe für die vielen Konkubinen, die er hatte.
Hier einige Eindrücke der phantastischen Bauwerke aus dieser Zeit:
Fast der gesamte Norden Äthiopiens von Addis Abeba bis zur eritreischen Grenze ist Hochland zwischen 1800 m (Tanasee) und 4500 m (Semien Mountains). Und davon wiederum ist ein großer Teil landwirtschaftliche Nutzfläche. 80% der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die aber je nach Berechnung nur 30 – 50% der Wirstchaftsleitung erbringt. Kein Wunder. Denn das meiste ist Subsistenzwirtschaft, d.h. zur Selbstversorgung oder zum Verkauf auf dem Markt im nächstgrößeren Dorf. Das sieht dann so aus:
Am Tekezefluss im Norden und am Blauen Nil gibt es auch bewässerte Landwirtschaft, die natürlich ganz andere Erträge generieren kann.
Noch gibt es in der Regenzeit reichlich Niederschläge. Aber die Trockenzeit ist viel heißer als früher, sodass die Wasservorräte längst nicht mehr so lange halten, wie vor Beginn des Klimawandels.
Ein echtes Erlebnis ist in jedem Fall der Verkehr. Nicht so sehr durch Hektik (das ist anderswo erheblich schlimmer), sondern durch die verrückte Mischung. Da trifft auch in der Großstadt einfach alles aufeinander – siehe Titelbild (abgesehen von Flugzeugen, modernen Bombardier-Propellermaschinen, die im Inland kleine feine Flughäfen verbinden). Hier einfach eine Serie von Fotos zu diesem Thema:
An den Flughäfen haben wir dann auch die modernsten Äthiopier(innen) getroffen, wie z.B. diese junge Frau, die zwischen der touristischen Dienstleistung einer traditionellen Kaffee-Zeremonie intensiv mit ihrem Smartphone beschäftigt war.
So bunt und verrückt wie der Verkehr sind auch die Märkte, unglaublich eng und wuselig und trotzdem „thematisch“ gut sortiert. Und das schöne: Wir konnten da als Weiße ganz entspannt durch schlendern. Natürlich wurden wir häufig angesprochen, um uns etwas zu verkaufen. Aber wenn wir deutlich und klar abgelehnt haben, war es auch gut.
Auffällig ist übrigens auch, wie schnell die Äthiopier gehen, jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir in Südafrika so erlebt haben. Aber vielleicht liegt das auch an dem angenehmen Klima des Hochlandes.
Immer wieder haben wir große Freundlichkeit erlebt. Schulkinder, denen wir begegneten, riefen uns zu: „Welcome in Ethiopia. What`s your Name?“ – „My name is Gerold“ – „How do you like Ethiopia?“ Und dann streckte mindestens eins von ihnen die Hand aus, um mit dem freundlichen Weißen abzuklatschen. Ähnliches hab ich auch mit Erwachsenen bei einem Spaziergang durch eine ziemlich ärmliche Wellblech-Siedlung (immerhin mit Elektrizität und Satelitenschüsseln) in Addis erlebt.
In der nächsten Folge werde ich demnächst über eine faszinierende nicht-religiöse Kommunität und beeindruckende Hilfsorganisationen in Äthiopien berichten.
Lieber Gerold, ich freu mich auf die Fortsetzung! LG Karin PS bitte nimm Wolfgang in den Verteiler auf, falls er sich noch nicht angemeldet hat.
Lieber Gerold, wunderschöne Fotos! Wir waren 2005 in Äthiopien und es war eine der faszinierendsten Reisen, die wir je unternommen haben. Auf die Flöhe aus Lalibela hätte ich allerdings gerne verzichtet! Liebe Grüße aus Köln, Christina
Liebe Christina, Flöhe aus Lalibela! Ja, die hatten wir allerdings auch. Und nur dort. (obwohl wir da in einem schönen ganz neuen Hotel übernachtet haben.) Davon hab ich aber in meinem aktuellen Blog nichts verraten 😉 Liebe Grüße aus Berlin an den Rhein.