Archiv für den Monat November 2019

Ich sehne mich nach Frieden

9.November, Schicksalstag der deutschen Geschichte.
In diesem Jahr erinnern wir uns schwerpunktmäßig an den Fall der Mauer vor 30 Jahren. In Berlin läuft die ganze Woche an vielen Orten ein spannendes Programm. Und viele Gebäude werden mit beeindruckenden Videoprojektionen angestrahlt, die die Ereignisse von damals in die Gegenwart holen. Auf der modernen Fassade des neuerrichteten Stadtschlosses / Humboldforums wird nicht nur die Außenansicht des „Palastes des Repuplik“ wieder sichtbar, der genau hier stand, sondern der thematische Bogen wird bis heute gezogen zu fridays for future und aktuellen Fragen von Demokratie.img_20191108_185332_resized_20191108_081542711.jpg
„30 Jahre friedliche Revolution“ stellen auch die Frage nach der Friedlichkeit heute. Die Jahreslosung der Christen heißt ja „Suche den Frieden und jage ihm nach“.
Meine Gedanken dazu habe ich in einem Poetry ausgedrückt. Beim Gospelprojekt, von dem ich im vorigen Blog erzählt habe, kam dieses Poetry erstmals zur Aufführung: auf den Treppen des Berliner Doms.
Unser Artrejo-Filmteam hat daraus ein youtube-Video gemacht:

Den vollständigen Text findet ihr hier weiter unten nach den Fotos von Großprojektionen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr das fleißig mit anderen teilt.

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Ich sehne mich nach Frieden                                Poetry von Gerold Vorländer

Ich sehne mich nach Frieden
für mich selber und für die ganze Welt,
ich hätte ihn schon längst bestellt
irgendwo im Internet.
Das wär‘ doch echt nett,
wenn das so einfach wär‘:
Geklickt, bestellt, schon kommt der Frieden her.

Suche Frieden, das hört sich so leicht an.
Ist aber mega schwer. Denn von allein kommt der nicht her.
Vielmehr kommt der Streit von ganz allein, mischt sich ein, ohne dass man will.
Überall.

Überall fallen Menschen übereinander her.
Sie sagen: Die anderen glauben anders.
Die anderen haben mehr.
Die anderen sind böse. Die anderen müssen bestraft werden.
Wir wollen sie loswerden.
Und so schmieden sie Waffen.
Werfen Bomben oder Brandsätze oder Steine.
Sie schießen mit Gewehren und Raketen
und schießen auch mit Worten.

Doch Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir.  Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.

Ich jedenfalls will keinen Krieg
und keine Mauern mehr.
Die in Berlin ist ja Gott sei Dank
seit fast 30 Jahren nicht mehr da,
Aber immer noch in Korea und Palästina und demnächst womöglich in den USA.
Und in den Köpfen.
Da wachsen grade Mauern schneller als du gucken kannst.
Wachsen aus dem Nährboden der Angst.

Aber ich will den Frieden suchen und ihr, hoff‘ ich, auch.
Will die Angst in ihre Schranken weisen.
Und den Frieden suchen.
Vergiss mal kurz die Welt
und all die miesen, fiesen News, die dich runterziehen.

Denn Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir. Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.

Und glauben!
Glauben, dass es möglich ist.
Glauben, dass nicht die Hetzer das letzte Wort behalten.
Dass die kalten,
harten Herzen,
die den Krieg als Mittel lieben
den Erfolg nicht kriegen, nicht siegen.
Sondern unterliegen.

Frieden fällt nicht vom Himmel.
Frieden muss auf Erden wachsen.
Doch der Himmel mischt sich ein
und will Mut zum Frieden geben.
Gott will den Frieden und nicht den Krieg.
Gott will Versöhnung und nicht den Hass.
Gott will offene Hände und nicht stampfende Soldatenstiefel.
Gott will Wahrheit, die das Leben schützt
und nicht – in Lüge verdreht – immer nur den gleichen,
den Mächtigen und Reichen,
den Frechen und Dreisten nützt.

Dem Frieden hilft es nicht
zu twittern und zu texten
zu schimpfen und zu hetzen,
die Gegner auf die Abschussliste zu setzen.

Dem Frieden hilft es,
miteinander zu reden,
zuzuhören statt zuzutexten
und fragen, fragen, fragen,
verstehen wollen
und nicht locker lassen,
sich nicht  frustrieren lassen,
sondern immer wieder nachfassen.

Denn Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir.  Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.
Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir!

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„Kerzen-Revolution“

Natur und Kultur – ein bunter Herbst

Der Herbst steht unter anderem für bunte Wälder und – von Fotographen und Malern geliebt – klare Luft und intensive Farben. Von meinem kleinen Zuhause-Schreibtisch habe ich einen wunderbaren Blick über Lübars bis weit ins Mühlenbecker Land (Siehe Titelfoto). 13. Stock hat was! Jedenfalls, was die Aussicht angeht, ist es einfach toll, jeden Tag wieder neu. Allerdings nicht, wenn – wie heute abend – beide Aufzüge ausfallen. Obwohl: Das ist dann Kardiosport…

Klare Luft und intensive Farben und das bei bis vor kurzem immer noch sehr milden bis richtig warmen Temperaturen gab es für uns jede Menge. So zum Beispiel bei einer wunderschönen Oktober-Sonntags-Wanderung am Wannsee.

Oder im sogenannten „Friedhof der Selbstmörder“ im Grunewald. Bis ins 20. Jahrhundert war ja die Beerdigung von Menschen auf kirchlichen Friedhöfen verboten. Durch den Knick der Havel wurden aber hier in der Nähe viele Freitod-Leichen angespült. Die Grundwald-Förster fanden eine Lösung, indem sie einen eigenen Friedhof für diese Verstorbenen anlegten. Die erste dokumentierte Beerdigung dieser Art war im Jahr 1900. Bald sprach sich das herum, und Angehörige brachten selbst Suizidale hierher. Nach 1945 wurden zivile Opfer des 2. Weltkrieges hierhin umgebettet und wenig später entwickelte sich dieser inzwischen mit Mauer und Kapelle versehene idyllische Ord zu einem „normalen“ kommunalen Friedhof.

 

2018 aber beschloss der Bezirk, keine weitere Beerdigungen mehr zuzulassen. (Schade eigentlich, oder?)

 

Von der Natur zur Kultur:

Eine Entdeckung war für uns die „Nacht der offenen Ateliers“ in den „Weddinger Gerichtshöfen“, einem Gewerbegebäudekomplex vom Anfang des 20 Jahrhunderts an der Gerichtstraße – daher der Name. Das Kunstquartier ist mit gut 70 Ateliers inzwischen eines der größten in Deutschland. An diesem Abend war der Innenhof schön geschmückt, mit Infotisch und Fressbude. Und es gab ausgezeichnete Führungen durch ausgewählte Ateliers. Moderne Kunst mit hoher Qualität und sehr gut vermittelt. Mehr als ein Geheimtipp.

Ein ganz besonderes Erlebnis war im Rahmen des „Festival of Lights“ in der dritten Oktoberwoche die Projektion an die Fassade des neuen Eingangsgebäudes zur Museumsinsel (Architektur von David Chipperfield). Einfach phantastisch, was Computer-Kunst heute darstellen kann: Eine ständige Metamorphose von Bildern und Farben untermalt mit warmen Klängen. Hier ein paar Eindrücke:

 

Kunterbunt ist es auch im „Textilhafen“ der Berliner Stadtmission. Diese neue Einrichtung in der Storkowerstraße beherbergt eine große Halle zur Kleidersortierung.

Dabei geben wir keine Reste mehr an fremde Textilverwerter weiter, weil sich deren Konzepte nicht mit unseren Werten deckt, wie sich im vorigen Jahr herausstellte. Statt dessen gibt es hier – außer einem normalen Second Hand Shop – Raum für kreative, lokale Textilwirtschaft; zum Beilspiel mit dem großen Webstuhl oder dem Aktionskoffer „Wir sticken das Grundgesetz“.

Wir möchten in der Berliner Stadtmission zunehmend auch Denkanstöße geben und Handlungsalternativen aufzeigen. Und das nicht nur in der Kältehilfe, die heute Nacht wieder ihre Arbeit aufnimmt.

Zuletzt zwei besondere Aktionen der Berliner Stadtmission, die ich nicht beschreibe, weil es dazu zum einen ein schönes kleines Video unseres Artrejo-Filmteams gibt, zum anderen einen höchst anschaulichen Beitrag auf unserer Homepage.

Am 28. September haben wir auf den Treppen des Berliner Doms ein Gospelprojekt durchgeführt unter dem Thema „Suche Frieden“:

Und dann vor wenigen Wochen der „Ball der Gemeinschaft“, der erste Ball für Obdachlose und andere Menschen in der City Station. Lest den Beitrag von Anna-Sophie Gerd:

https://www.berliner-stadtmission.de/aktuelles/ball-der-gemeinschaft/994466c705d10af36c4bbd739567d196

portrait zweier Tanzenden

Und damit wünsche ich euch einen angenehmen Start in die dunkle Jahreszeit.