Archiv der Kategorie: Aus der Arbeit

Hier berichte ich aus meiner Entdeckungsreise durch die Berliner Stadtmission vor allem, was meine eigenen Arbeitsbereiche angeht.

Ein Tag – drei Welten

Der vergangene Sonntag hatte für mich mal wieder einen typischen Berliner Charakter: völlig unterschiedliche Lebenswelten. Wobei zwei davon unter dem Dach der Stadtmission sind und sogar zu meinem Dienstbereich gehören.

Aber der Reihe nach.

I. Vormittags war ich nach längerer Zeit endlich mal wieder in unserer Iranischen Gemeinde („Kinder des Lichts“), die inzwischen zur Jungen Kirche Berlin (JKB) Lichtenberg in deren Gemeinderäume umgezogen ist. Und: Wir feierten den inzwischen 10. Taufgottesdienst in der 2016 offiziell gegründeten Gemeinde. Inzwischen ist die Gemeinde – nach zwischenzeitlicher Krise vor ein paar Jahren – wieder auf 60 bis 70 Mitgieder gewachsen, am Sonntag waren es mit Gästen über 80 Personen, die dieses Fest miterleben wollten.

Dabei spielt die Dekoration eine ganz wichtige Rolle. Bis halb zwei in der Nacht war vorbereitet worden, unzählige liebevollste Details in typisch persischem Stil. Und dazu kam dann noch eine gigantische Tauf-Torte (natürlich in hellblau, um das Taufwasser zu symbolisieren).

Der Gottesdienst (zweieinhalb Stunden) hatte vier Teile: Begrüßung, Gebet und Lobpreis mit vielen Liedern und Bibeltexten, alles mit Begeisterung vorgetragen und gesungen.

Dann meine Predigt mit Satz-für-Satz-Übersetzung. „Ihr habt ja nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht. Dann müsstet ihr doch wieder Angst haben. Ihr habt vielmehr einen Geist empfangen, der euch zu Kindern Gottes macht. Weil wir diesen Geist haben, können wir rufen: Abba! Lieber Vater!“ (Römer 8). Wie sehr treffen diese Worte von Paulus in die Situation von jungen Christen, die ihre Herkunftsreligion in ihrem Heimatland nur als zutiefst furchteinflößend erlebt haben. Und nun Gott kennengelernt haben als jemanden, der sie liebt und dem sie vertrauen können.

Bei der Predigt fiel mir auf, wieviele aus der Iranischen Gemeinde inzwischen gut Deutsch können. Wenn Massoud, dem Übersetzer, mal ein Wort nicht einfiel, riefen sie ihm im Chor die richtige persische Vokabel. Sehr lustig. Insgesamt hat sich die Lebenssituation etwa bei der Hälfte der Gemeinde inzwischen sehr positiv entwickelt: Sie haben reguläre Wohnungen, Jobs und Ausbildungsplätze gefunden. Inzwischen ist aber auch der „Durchlauf“ geringer, weil weniger Menschen es schaffen, aus dem Iran auszureisen, und weil weniger von denen, die hier ankommen, dann nochmal innerhalb Deutschlands oder Europas verteilt werden. Das hilft natürlich der ganzen Community.

Der dritte Teil fand dann im Foyer statt, wo für die Taufen ein Wasserbecken und eine weitere Lautsprecheranlage aufgebaut war. Man kann kaum beschreiben, wie intensiv diese Erwachsenen-Taufen erlebt werden von Menschen, die einen völlig anderen religiösen Hintergrund haben: Was für ein Gefühl der Befreiung, das zugleich tief erschüttert und begeistert. Nach jeder Taufe wird die Musik voll aufgedreht, geklatscht und getanzt, gelacht und geweint.

Nach der Taufe waren nicht nur die Täuflinge, sondern auch wir beiden Pastoren (Stefan Rostami und ich) klatschnass, und mussten uns erstmal umziehen, bevor es zum dritten Teil der Gottesdienstes wieder in den Saal ging: Lobpreis, Fürbitten, Segen, Geschenke.

Und dann wurde weiter gefeiert, mit reichlich Essen. Das Ganze selbstverständlich von vielen Handys gefilmt und in hunderten von Fotos festgehalten.

Lebenswelt eins an diesem Sonntag.

II. Nur eine Straßenbahnhaltestelle vorher in der Herzbergstraße findet sich eine völlig andere Lebenswelt, versteckt hinter einem neuen Bürogebäude und einer Toreinfahrt: Das „Dong Xiang Center“. Schon häufig vorbei gefahren, hatte ich jetzt vor meinem zweiten Gemeindetermin noch eine Stunde Zeit, um dort endlich mal reinzuschauen.

Seit Ende der 70er Jahre wurden Vietnamesen als „Vertragsarbeiter“ von der DDR angeworben, lebten hier aber völlig isoliert in weitgehend prekären Wohnverhältnissen und als völlige Fremdlinge. Das änderte sich auch nach der Wende nicht wirklich. Wir haben ja gerade vorige Woche an das rechtsradikale Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren gedacht. In Berlin stellt die vietnamesische Community mit heute 40.000 Angehörigen die größte ostasiatische Bevölkerungsgruppe.

Auf Wikipedia findet man folgende Gründungsstory: „Wie viele Vertragsarbeiter der DDR wurde Nguyễn Văn Hiền mit der deutschen Wiedervereinigung arbeitslos. Gleich nach der Wende machte er sich selbstständig und verkaufte Kleidungsstücke. Neue Ware kaufte er bei einem Großhandelsunternehmen in Polen. Hier traf er regelmäßig Kollegen aus Berlin. Das brachte ihn auf die entscheidende Idee, das alles künftig selbst in Berlin anzubieten. Im Jahr 2005 setzte er seine Idee eines Handelszentrums um und gründete das Dong Xuan Center. Ende der 2010er Jahre nutzten bereits Menschen aus aller Welt das reiche Angebot an Textilien, fernöstlichen Lebensmitteln sowie Dienstleistungen.“ In den Hallen des „Dong Xiang Centers“, auch „Little Hanoi“ genannt, betreiben auf einem Areal von 165.000 Quadratmetern mehr als 400 Unternehmer mit rund 2000 Mitarbeitern ihre Geschäfte. „Đồng Xuân“ ist übrigens vietnamesisch und heißt übersetzt „Frühlingswiese“. Blumen findet man aber nur im Geschenkeshop und aus „Plaste“. Gefühlt jeder vierte Laden ist ein Friseur oder Nagelstudio.

Und jetzt schaut mal, was für Fahrzeuge dort auffahren: Bentley & Co

III. Nach einer knappen Stunde Straßenbahn- und S-Bahn-Fahrt bin ich in der Bölschestraße in Friedrichshagen angekommen. Nach der Wende standen hier fast nur heruntergekomme Ruinen. Längst ist die Straße aber zu einem idyllischen und beschaulichen Ort mit hohem Wohn- und Erholungswert direkt am Müggelsee herausgeputzt worden. Und genau dort liegt die südöstlichste Stadtmissionsgemeinde in einem denkmalgeschützen Vorderhaus und einer 1997 im Innenhof gebauten Kapelle. Am Sonntag wurde dort auch gefeiert: das 25-jährige Jubiläum der neuen Räume und die Einführung des ganz neuen Stadtmissionars Frank Bruhn. Ein komplett bildungsnaher biodeutscher Kulturraum, wie man schon an der Gestaltung der Kapelle sieht.

Sehr freundliche Menschen, fast alles Akademiker. Das Offene Singen zu Beginn erfordert ein gewisses musikalisches Verständnis. Der Posaunenchor spielt im Innenhof anspruchsvolle Gospel- und Jazzstücke. Der Gemeindegesang im Gottesdienst zeugt von lauter kräftigen, geübten Singsimmen. Und den musikalischen Rahmen gestaltet schließlich ein Trio aus Geige, Klavier und Sopran mit professioneller klassischer Kirchenmusik: „Jesus bleibet meine Freude“ – von J.S. Bach.

Ein Tag – drei Welten. Und alles in Berlin!

„Vergnügt, erlöst, befreit“

Heute ist Reformationsfest. Dazu hat der ERF mich gebeten, in der Reihe „ERF Plus spezial“ einen Vortrag zu halten:

Vergnügt, erlöst, befreit

Reformation ganz anders – oder: Wie uns biblischer Humor in bissiger Zeit helfen kann.

Hier könnt ihr ihn euch anhören:

https://www.erf.de/…/vergnuegt-erloest-befreit/2295-1259

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“ – der Kabarettist Hans-Dieter Hüschhat mit diesen drei Eigenschaftsworten die Skizze einer fröhlichen christlichen Gelassenheit entworfen. Das beschreibt allerdings weder die allgemeine Stimmung in der Reformationszeit vor 500 Jahren noch das heute vorherrschende Lebensgefühl – aber einen Wesenszug des befreienden Evangeliums.Der Evangelist Lukas hat im 12. Kapitel seiner Apostelgeschichte ein Meisterstück theologischen Humors serviert, das uns gerade in diesem schwierigen Jahr 2020 richtig gut tun und zu einer ganz besonderen Form von Reformation verhelfen kann.

Ein Traum-Tag auf Spree und Havel

 

Darf ich vorstellen? Das ist Agathe. Sie ist ein 11  Meter langes Motorboot, beileibe kein Rennboot, sondern ein altes, gemütliches Schiffchen, das mit maximal 12 Stundenkilometern über Binnengewässer tuckern kann und sogar auch küstennah übers Meer – so groß ist sie immerhin. Agathe gehört Siegfried und Anke, Berliner Freunden, die ganz in der Nähe wohnen. Am Samstag haben wir vier mit Agathe einen wunderbaren Tag auf den hiesigen Gewässern zugebracht.

Berlin ist ja nicht nur die grünste Stadt, die man sich vorstellen kann, sondern mit all ihren Flüssen, Kanälen und Seen auch ausgesprochen wasserreich. 960 Brücken hat Berlin aufzuweisen. Was sind dagegen die läpschen 400 Brücken in Venedig?

Die übliche Innenstadttour zwischen Nikolei Viertel und Moabit haben wir in den letzten Jahren schon häufig mitgemacht, zum Teil ja auch mitgestaltet in Form unseres Stadtmissionsprogramms „Mit Gott auf der Spree“. Diesmal aber sollten wir noch ganz andere wasserseitige Perspektiven auf Berlin gewinnen. Und: an diesem Tag wollten Siegfried und ich auch ein wenig Phantasie entwickeln, wie Agathe vielleicht auch mal missionarisch unterwegs sein könnte. Immerhin hat Agathe mit der Heiligen Agatha von Catania  eine berühmte Namenspatronin (geboren um 225 auf Sizilien; um 250 dort als Märtyrin gestorben), deren grausiges Schicksal ich hier aber nicht erzählen will.

Unsere gemeinsame Fahrt begann am Bootsanleger der Greenwich-Promenade in Tegel und führte durch den Tegeler See mit seiner verwirrenden Inselwelt, den Hohenzollern-Kanal nach Osten bis zur Schleuse Plötzensee, dann durch den Westhafen- und den Charlottenburger Kanal in die Spree, ein Stück Richtung Moabit und dann wieder zurück und immer weiter nach Westen, bis sie in der Spandauer Altstadt in die Havel mündet. Weiter gings Havel-abwärts; die fließt hier nämlich aus der Nähe der Müritz kommend immer noch nach Süden, bevor sie in Potsdam nach Westen und in Brandenburg wieder nach Norden abbiegt, um vor Wittenberge schließlich in die Elbe zu münden.

Wobei die Havel hier in und um Berlin fast immer eher wie eine Seenkette und weniger wie ein Fluss wirkt. Unser südlichster Punkt war die Havel in Form des Jungfernsees mit der Glienicker Brücke bevor wir zurück zum Inselchen Lindwerder als unserem Wasserweg-Ziel ging. Unsere Heimfahrt nach Waidmannslust im Berliner Norden ging per Bus und S-Bahn, während Siegfried und Anke dort geankert und auf Agathe übernachtet haben.

Berlin von der Wasserseite bietet sehr abwechslungsreiche Perspektiven. Manchmal wechseln sich kurz hintereinander Industrieanlagen, idyllische Uferstreifen, ruppige und schöne Berliner Altbauten und kleine Stückchen Wildnis als sei man irgendwo auf einem fernen Kontinent aneinander.

 

Das Kraftwerk Reuter West sehen wir auch von unserem Balkon. Aber von Nahem macht diese Anlage mit dem gigantischen Kühlturm natürlich einen ganz anderen Eindruck.

Interessant sind natürlich auch die unterschiedlichen Menschen am Ufer und auf dem Wasser zu beobachten: Die Yoga Ausübende, die Sonnenbadenden, die Obdachlosen, die Ausflügler, die Paddel-Board übende Frauengruppe.

Cool war, dass Christiane und ich auch jeweils eine Weile ans Ruder durften. Das ist gar nicht so einfach, weil man anfänglich total Zickzack fährt. Es dauert halt einen Augenblick, bis dass Boot reagiert und ebenso, wenn man dann (zu stark) gegenlenkt.

Schleusendurchfahrten sind natürlich auch ein Erlebnis, vor allem, wenn man noch keine Übung hat im Auswerfen und Nachziehen der Leinen oder im Befestigen der Fender. Bisher kannte ich Fender nur als Gitarrenmarke. Jetzt weiß ich: Es sind auch die Päckchen oder Ballons, die man außen an die Reling hängt, um den Schiffsrumpf beim Anlegen zu schützen.

Ein Päckchen nennt man es aber auch, wenn zu wenig Anlegestellen vorhanden sind, und dann mehrere Boote oder Schiffe aneinander festmachen müssen. So ergings es uns zum Schluss an Lindwerder, wo wir die ersten am letzten freien Anleger waren und sich noch ein kleines Segel und ein Motorboot an Agathe anhängten.

Solche Manöver passieren in freundlich-hilfsbereitem Miteinander. Die Freizeit-Boot-Fahrer sind schon eine ganz eigene Community. Wobei es da natürlich auch solche und solche gibt. (Berliner Spruch: „Et jibt sonne und sonne – un dann noch janz andere. Un die sin die Schlümmsten.“) Da kommt ein friedlicher Skipper (=Bootsführer) schon mal ins Schimpfen, wenn zwei Motorboote zwischen Agathe und einem Ausflugsdampfer noch ein Wettrennen machen müssen.

In der Havel kamen wir natürlich an einigen Ausflugszielen vorbei, die wir früher landseitig schon mal besucht hatten:

Der Teufelsberg mit seinen verrottenden Radaranlagen aus der Zeit des Kalten Krieges.

Der Grunewald-Turm und davor ein idyllisches Waldufer (vgl. Blog vom 1. November 2019)

Pfaueninsel mit ihren Schlösschen im Ruinenstil,

Die eindrucksvoll gelegene Heilandskirche am Port von Sacro, nach Entwürfen des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. 1841-43 gebaut.

Das Strandbad Wannsee mit seiner langen Gebäudereihe mit Umkleidekabinen, Sanitäranlagen, Strandkorbverleih usw. („Pack die Badehose ein“)

und eben der Glienicker Brücke, über die zu DDR-Zeiten die Ost-West Übergabe von Personen erfolgte, und dahinter Schloss Babelsberg.

Den ganzen Tag über war herrlichstes Wetter, den wir zum Schluss auf Lindwerder noch mal gebührend finalisiert haben.

Dies ist jetzt ja mein erster Blog nach langer Pause. Zunächst bedingt durch die berufliche Doppelbelastung bei der Berliner Stadtmission als Dienstbereichsleitung Mission und (Kommissarische) theologische Gesamtleitung und dann nahtlos ineinander übergehend der Beginn der Corona-Zeit, die uns natürlich auch extrem herausgefordert hat. Inzwischen ist unser neuer Direktor Dr. Christian Ceconi an Bord und ganz gut eingearbeitet. Und auch Corona-mäßig hat sich vieles eingespielt. Davon will ich aber hier jetzt nicht berichten. Aber wer Interesse hat, kann sich hier unsere „druckfrische“ Jahrespublikation anschauen mit knappen Informationen und vielen beeindruckenden Fotos. https://www.berliner-stadtmission.de/aktuelles/das-143-jahr-unsere-neue-jahrespublikation-ist-da

Übrigens, Siegfried und ich hatten wirklich einige Ideen, wie Agathe stadtmissionarisch wirken kann. Aber das verrat ich noch nicht.

Ich sehne mich nach Frieden

9.November, Schicksalstag der deutschen Geschichte.
In diesem Jahr erinnern wir uns schwerpunktmäßig an den Fall der Mauer vor 30 Jahren. In Berlin läuft die ganze Woche an vielen Orten ein spannendes Programm. Und viele Gebäude werden mit beeindruckenden Videoprojektionen angestrahlt, die die Ereignisse von damals in die Gegenwart holen. Auf der modernen Fassade des neuerrichteten Stadtschlosses / Humboldforums wird nicht nur die Außenansicht des „Palastes des Repuplik“ wieder sichtbar, der genau hier stand, sondern der thematische Bogen wird bis heute gezogen zu fridays for future und aktuellen Fragen von Demokratie.img_20191108_185332_resized_20191108_081542711.jpg
„30 Jahre friedliche Revolution“ stellen auch die Frage nach der Friedlichkeit heute. Die Jahreslosung der Christen heißt ja „Suche den Frieden und jage ihm nach“.
Meine Gedanken dazu habe ich in einem Poetry ausgedrückt. Beim Gospelprojekt, von dem ich im vorigen Blog erzählt habe, kam dieses Poetry erstmals zur Aufführung: auf den Treppen des Berliner Doms.
Unser Artrejo-Filmteam hat daraus ein youtube-Video gemacht:

Den vollständigen Text findet ihr hier weiter unten nach den Fotos von Großprojektionen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr das fleißig mit anderen teilt.

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Ich sehne mich nach Frieden                                Poetry von Gerold Vorländer

Ich sehne mich nach Frieden
für mich selber und für die ganze Welt,
ich hätte ihn schon längst bestellt
irgendwo im Internet.
Das wär‘ doch echt nett,
wenn das so einfach wär‘:
Geklickt, bestellt, schon kommt der Frieden her.

Suche Frieden, das hört sich so leicht an.
Ist aber mega schwer. Denn von allein kommt der nicht her.
Vielmehr kommt der Streit von ganz allein, mischt sich ein, ohne dass man will.
Überall.

Überall fallen Menschen übereinander her.
Sie sagen: Die anderen glauben anders.
Die anderen haben mehr.
Die anderen sind böse. Die anderen müssen bestraft werden.
Wir wollen sie loswerden.
Und so schmieden sie Waffen.
Werfen Bomben oder Brandsätze oder Steine.
Sie schießen mit Gewehren und Raketen
und schießen auch mit Worten.

Doch Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir.  Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.

Ich jedenfalls will keinen Krieg
und keine Mauern mehr.
Die in Berlin ist ja Gott sei Dank
seit fast 30 Jahren nicht mehr da,
Aber immer noch in Korea und Palästina und demnächst womöglich in den USA.
Und in den Köpfen.
Da wachsen grade Mauern schneller als du gucken kannst.
Wachsen aus dem Nährboden der Angst.

Aber ich will den Frieden suchen und ihr, hoff‘ ich, auch.
Will die Angst in ihre Schranken weisen.
Und den Frieden suchen.
Vergiss mal kurz die Welt
und all die miesen, fiesen News, die dich runterziehen.

Denn Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir. Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.

Und glauben!
Glauben, dass es möglich ist.
Glauben, dass nicht die Hetzer das letzte Wort behalten.
Dass die kalten,
harten Herzen,
die den Krieg als Mittel lieben
den Erfolg nicht kriegen, nicht siegen.
Sondern unterliegen.

Frieden fällt nicht vom Himmel.
Frieden muss auf Erden wachsen.
Doch der Himmel mischt sich ein
und will Mut zum Frieden geben.
Gott will den Frieden und nicht den Krieg.
Gott will Versöhnung und nicht den Hass.
Gott will offene Hände und nicht stampfende Soldatenstiefel.
Gott will Wahrheit, die das Leben schützt
und nicht – in Lüge verdreht – immer nur den gleichen,
den Mächtigen und Reichen,
den Frechen und Dreisten nützt.

Dem Frieden hilft es nicht
zu twittern und zu texten
zu schimpfen und zu hetzen,
die Gegner auf die Abschussliste zu setzen.

Dem Frieden hilft es,
miteinander zu reden,
zuzuhören statt zuzutexten
und fragen, fragen, fragen,
verstehen wollen
und nicht locker lassen,
sich nicht  frustrieren lassen,
sondern immer wieder nachfassen.

Denn Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir.  Wir!
sind dran, wir! sind gefragt,
nicht mit dem Finger auf andere zeigen,
sondern Haltung zeigen,
Brücken bauen und Hände reichen
zwischen Gleichen und Ungleichen.
Frieden fängt nicht irgendwo an.
Sondern hier, bei mir und dir!

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„Kerzen-Revolution“

Machtlose Helfer und ein „Haus des Friedens“

Freitagabend. Ich bin auf dem Weg zur „City-Station“ der Berliner Stadtmission, einem Restaurant für Stadtarme und Obdachlose in Wilmersdorf. Endlich will ich mal zu der Freitagsandacht, die es dort seit einem halben Jahr – statt Sonntagsgottesdienst – gibt. Das gesamte Team wurde im vorigen Jahr neu zusammengestellt und das Konzept überarbeitet. So dass jetzt soziale Arbeit und geistliches Leben von den gleichen Mitarbeitenden gestaltet werden.

Von der S-Bahn-Station Halensee sind es nur ein paar hundert Meter zu Fuß den Kurfürstendamm rauf. Plötzlich stutze ich. Da sind merkwürdige Fußspuren auf dem Bürgersteig. Ich schaue genau hin. Schock: Der Schuhabdruck jedes zweiten Schrittes zeichnet sich durch einen dicken Rand aus Blut ab. Ich ahne schon, wohin es den Verletzen gezogen hat. Und wahrhaftig: als ich in die Joachim-Friedrich-Straße einbiege, sehe ich das Blaulicht eines Rettungswagens vor der City-Station.

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Auf der Bank neben dem Eingang sitzt ein junger Mann, umgeben von Rettungssanitätern, zwei knien vor ihm und behandelnd seinen Fuß oder sein Bein. Daneben steht unsere Einrichtungsleiterin Anna-Sofie. Sie schaut besorgt, begrüßt mich kurz und wendet sich dann wieder dem Verletzten zu.Eine andere Mitarbeiterin aus dem Team klärt mich drinnen auf: Der junge Mann sei ihnen durchaus bekannt, ein polnischer Junkie, der immer mal wieder hier auftaucht. Eigentlich müsse er ins Krankenhaus.

Das Restaurant ist gut gefüllt mit Männern und Frauen, denen man ihre  prekäre Lebenssituation deutlich ansieht. Die meisten essen etwas. Es ist ziemlich ruhig. Ich nicke einigen der Gäste zu und gehe nach hinten durch in den kleinen Gottesdienstraum. Nach der Andacht wird er zum „Nachtcafé“ mit 20 Matratzen-Schlafplätzen umgebaut. Hier sitzen schon einige Gäste um einen Tisch, meist im Seniorenalter. Einer hat einen vollen Teller vor sich stehen mit warmem Kartoffelsalat („Viel zu viel Mayonaise!“) und Schnitzel. Später erzählt er mir, dass er als Kind mal Geige lernen sollte. Aber das wäre nicht seins gewesen. Ein osteuropäisches Paar spielt „Dummkopf“, ein Kartenspiel für zwei Personen.

Ich hatte vorgeschlagen, wenn sonst keiner da sei, können ich die Lieder begleiten. Und so spiele ich kurz die vorgeschlagenen Lieder auf dem Klavier durch – und kriege nach jedem Applaus!

Schließlich kommt Anna-Sofie von draußen rein. Sie sieht ziemlich mitgenommen  aus: „Unsere Andacht beginnt ein paar Minuten später“ sagt sie in die Runde, die sich inzwischen versammelt hat. Eine Frau um die 60 mit schwarz gefärbtem Haar antwortet spontan: „Aber, wir haben Zeit, Anna-Sofie! Wenn´s um Gott geht, dann kann man ja wohl Zeit haben.“ Wir gehen nochmal weiter durch in‘s Büro. Anna-Sofie berichtet: Diese Sanis wären echt toll gewesen, ganz aufmerksam und sorgfältig und zugewandt. Und sie hätten dem Junkie sehr deutlich erklärt, dass er sofort ins Krankenhaus muss. Mit dem Blutverlust und dann draußen auf der Straße: Er würde die Nacht nicht überleben! Beim Fixen hatte er sich am Schienbein die Haut komplett aufgerissen. Aber er hätte beharrlich abgelehnt. Nein, er müsse unbedingt noch was ganz Dringendes erledigen. Auch drei andere Polen, die als Übersetzer hinzugezogen wurden, waren nicht in der Lage, ihn zu überreden. Und weil seine Wunde nicht mehr suppte, blieb den Helfern nichts anderes übrig, als ihn unterschreiben zu lassen, dass er auf eigenen Wunsch nicht in Krankenhaus gebracht werde. Nichts zu machen: Erwachsen und bei einigermaßen klarem Verstand gilt schlicht das Selbstbestimmungsrecht. Machtlose Helfer!

Der Berliner Senat hat für diesen Winter die Notschlafplätze für Obdachlose erheblich aufgestockt. Und erschütternder Weise bleiben in vielen Nächten über 200 Matratzen leer.  Aus den unterschiedlichsten Gründen: Klaustrophobie, Angst vor osteuropäischen Obdachlosen, Misstrauen, Trotz, psychisch völlig durch den Wind… – Oft wird empört gefragt: Wie kann es in einem reichen Land wie unserem so viele Obdachlose geben? Die Gründe sind vielfältig. Es ist nicht nur die Wohnungsnot.

Im Gottesdienstraum  haben sich zur Andacht diesmal nur etwa 12 Menschen versammelt. Deutlich weniger als sonst. Aber auch verständlich nach einem Tag mit drei Hausverboten (jeweils mit Polizei), jemandem, der in den Eingangsbereich gekotzt hatte und dann noch dem verletzten Junkie. Da haben sich manche aus dem Staub gemacht.

Die anderen singen mit Begeisterung und so laut, als wären sie nicht 12, sondern 50: „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe!“

Die Biblische Lesung übernimmt immer einer der Gäste. Heute ist der Mann dran, der als Kind mal Geige gelernt hatte: Struppiges graues Haar und Flecken auf dem Pullover. Er liest wirklich gut und mit Verstand. Nur dass er mal eben aus den 72 Jüngern, die Jesus aussendet, 720 macht. Die sollen, laut Lukasevangelium in Häuser gehen und Frieden bringen. Wenn  jemand den Frieden nicht wolle, sollen sie einfach weggehen und den Staub von den Füßen schütteln. Hier sollte die Lesung planmäßig enden. Aber unser Lektor liest unbeirrt weiter. An seinem schelmischen Lächeln sieht man, dass er genau weiß, was er tut: Seine Lesung endet mit „Es wird Sodom erträglicher gehen an jenem Tag als dieser Stadt“.

Wiederum unbeirrt erklärt Anna-Sofie mit einfachen Worten, wie das mit dem „Frieden in ein Haus bringen“ geht. Und dann bekommen alle ein Stück Transparentpapier und Stifte, um gemeinsam ein „Kirchenfenster“ zu gestalten. Damit in Zukunft jeder, der zur Citystation kommt, sofort sehen kann: Dies ist ein Haus des Friedens. Alle malen und schreiben mit Hingabe und hochkonzentriert. Das osteuropäische Paar hat längst die Spielkarten beiseitegelegt. In den Fürbitten am Schluss kommen die auf Zetteln gesammelten Themen der Woche vor: Gebet um eine Wohnung; für eine Tochter, die krank ist; für den Frieden im Haus; für alle Helfer, die in dieser Nacht arbeiten…  Ganz nah am Leben.

Auf meinem Heimweg an diesem Abend lese ich nicht irgendetwas, wie meistens in der S-Bahn. Mein Kopf ist zu voll und mein Herz zu berührt.

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P.S.

Wie ich in den nächsten Tagen erfahre, waren mit dem bisher Erzählten die Herausforderungen des Tages noch immer nicht bewältigt: An dem Abend hat eine Dame noch einen Krampfanfall  bekommen und ein Gast hatte einen Schizophrenenschub. – Ich kann vor dem, was das Team dort leistet, nur meinen Hut ziehen.

Und:  Der junge polnische Mann hat tatsächlich überlebt. Er hat am Freitag noch seine „Geschäfte“ erledigt und ist in der Nacht in ein Krankenhaus gegangen, wo er weiter behandelt werden konnte. Also waren die Helfer doch nicht so machtlos. Gott sei Dank!

KirchenfensterFoto: Anna-Sofie Gerth

Herzlich Willkommen

Unser Leben in Berlin bleibt spannend. Deshalb gibts hier weiterhin in unregelmäßigen Abständen Berichte und Fotos von den Begegnungen mit Menschen und Entdeckungen in und um Berliln, aus der Arbeit der Berliner Stadtmission und von interessanten Auslandsreisen.

Gerold Vorländer

Journey to Peace – Reise zum Frieden

Ich finde, das ist ein sehr passendes Adventsthema, in diesem Jahr vielleicht noch dringlicher als zuvor. Zu wirklichem Frieden, biblisch „Schalom“, werden wir in dieser Welt immer nur unterwegs sein – bestenfalls. Im Moment sind leider viele in der anderen Richtung unterwegs.  Deshalb ist es so wichtig, wach und unbeirrt nicht mit diesem Strom zu schwimmen, sondern immer wieder zu versuchen, eine echte Alternative zu den immer schärferen Tönen und Handlungen zu gestalten. Im biblischen Leitwort der Berliner Stadtmission „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn“ dann steht da im hebräischen „Sucht den Schalom der Stadt“, d.h. sucht nach einem Frieden ohne Verlierer.

Den Titel dieses Blogs habe ich aber von der Awra Amba Community in Äthiopien, von der zu berichten ich ja noch versprochen hatte. Das will ich jetzt endlich nachholen und dann noch von ein paar aktuellen Projekten unserer Arbeit erzählen.

Kurz vor Woreta am Ostufer des Tanasees biegen wir vom Highway 22 ab, um die Kommunität zu besuchen, von der wir in dem wunderbaren Äthiopienbuch „Der Mann, der den Tod auslacht“ (Philipp Hedemann) gelesen hatten. Das Kapitel ist überschrieben mit „Der Philosoph mit der Badehaube“.

Gemeint ist Zumru Nuru, der Gründer und Leiter einer Kommunität, die ihren Sitz in diesem Dorf hat, aber inzwischen Mitglieder in ganz Äthiopien und manchen anderen Teil der Welt zählt. Er ist laut Philipp Hedemann „einer der wenigen Atheisten Äthiopiens und der wohl bekannteste Ungläubige seines Landes.“ Wobei ich mir da gar nicht so sicher bin, ob das voll zutrifft. Aber in der Lebensgemeinschaft, die er aufgebaut hat, spielt Religion keine Rolle. Weshalb, versuche ich gleich zu erklären.

Wir werden von einigen Mitarbeitenden freundlich empfangen und ins Gemeinschaftshaus geführt. Ja, man würde mal fragen, ob sich Zumra Zeit für uns nehme. Bis dahin sollten wir uns ein wenig umschauen. An den Wänden hängen handschriftliche Plakate mit den Kerngedanken Zumras. Ganz schlichte, weisheitliche Sätze, die aber erhebliche Konsequenzen haben, wenn man sie umsetzt. (Siehe Titelbild)

Nach einiger Zeit tritt er würdevoll in den Gemeinschaftsraum und setzt sich auf die einfache Bank uns gegenüber. Und wahrhaftig: Bei seiner merkwürdigen knatschgrünen Kopfbedenkung kann man nicht anders als an Badekappe denken. Sein junger Assistent, der uns vorher schon ein paar Dinge erklärt hat, fungiert jetzt als Übersetzer. Denn Zumra spricht kein Englisch. Er hat auch nie Lesen und Schreiben gelernt. Aber er war wohl schon als Kind das, was wir „emotional hochbegabt“ nennen würden. Mit vier begann er Fragen zu stellen, die seine Familie und sein Dorf völlig irritierten: Warum wird meine Mutter so behandelt, als sein sie weniger wert als mein Vater? Warum dürfen wir von Muslimen kein Rindfleisch kaufen? Haben Kinder keine Rechte?  Muss man Menschen, die zu alt oder schwach zum Arbeiten sind, nicht helfen? Usw.

Als Jugendlicher machte er dann jede Menge Vorschläge, wie man das Leben im Dorf ändern müsste, woraufhin man ihn schlicht für geistesgestört erklärte. Aber er kam von diesen Gedanken nicht los. Und irgendwann über verschiedene schwierige Stationen fand er Menschen, die sich von diesen Gedanken anstecken ließen und bereit waren, sich mit auf die Reise zum Frieden zu machen.

 

Im Kern geht es um 5 Prinzipien:

  1. Gleiche Rechte für Frauen respektieren.
  2. Gleiche Rechte für Kinder respektieren.
  3. Menschen, die zu alt oder schwach zum Arbeiten sind, helfen.
  4. Schlechtes Reden und Handeln vermeiden, statt dessen Zusammenarbeit, Frieden, Liebe und gute Taten üben.
  5. Alle Menschen, ungeachtet ihrer Unterschiede, als Brüder und Schwestern annehmen.

Später werden wir noch durchs Dorf geführt und sehen wie diese Gedanken ganz konkret umgesetzt werden: in Kindergarten und Schule, Werkstätten und betreutem Wohnen für Alte und Schwache oder auch dem selbstentwickelten Holz-sparenden Herd bzw. Backofen. Alles ganz schlicht, aber sauber und funktional.

Auf den ersten Blick wirkt die Kommunität kommunistisch, ist sie aber nicht. Jeder, der kann, arbeitet für sein eigenes Einkommen und hat Privatbesitz. Aber der Erlös von einem Tag in der Woche (also nicht „der Zehnte“, sondern „der Siebte“) ist für die Gemeinschaft und besonders für die Schwachen.

Dazu kommen, wie wir erfahren, klare Methoden zur Partizipation aller an Entscheidungen und gewaltfreien Konfliktlösungen. In diesem Sinne ist Zumra kein Guru, obwohl er auf uns schon so wirkt. Auch wenn sein Wort sicher ein besonderes Gewicht hat, hat er nicht mehr zu sagen, als andere. Reise zum Frieden eben.

Das Ganze verzichtet aber bewusst auf irgendeinen religiösen Überbau.  Zumra erklärt uns: „Falls es ein Leben nach dem Tod gibt, kannst du das aber nicht überprüfen („double check“). So tun wir einfach unser Bestes, ein Stück Paradies vor dem Tod zu leben.“

Im Äthiopischen Kontext hat diese Aussage eine völlig andere Bedeutung, als bei uns. Denn am Horn von Afrika sind im Grunde alle Menschen religiös und glauben an irgendeinen Gott. Und wenn es sich um orthodoxe Christen handelt, dann ist das ganze Leben geprägt durch unendlich viele Regeln, die zu erfüllen sind, 170 Fastentage im Jahr, viele Heilgentage, an denen nicht gearbeitet wird. Hochzeiten und Beerdigungen müssen tagelang gefeiert werden, womit sich die Familien finanziell oft hoffnungslos übernehmen. Das alles ist in der Afra Amba Community extrem reduziert. Auch der Sonntag ist nicht prinzipiell frei. Wobei es jedem freisteht, sich dann auch mal freizunehmen und sowieso auch persönlich religiös zu sein. Offenbar hat Zumra zu oft erlebt, dass gerade auch die christliche Religion die Menschen in Äthiopien davon abhält, die Probleme des Landes konsequent anzupacken.

Zurück nach Deutschland:

Bei der Berliner Stadtmission packen wir weiterhin Probleme konsequent an –  und erleben den christlichen Glauben und besonders das (gemeinsame) Gebet als wesentliche Kraftquelle in all den Herausforderungen. Vor einigen Wochen haben wir z.B. – vom Senat finanziert – eine Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung eröffnet. Wie groß dieses Fass ist, hat aber im Vorfeld keiner geahnt: Welche Beträge bisher Krankenhäuser nicht bezahlt kamen und welche Menschen, obwohl sie einen Rechtsanspruch haben, in unserem Land aus irgendwelchen Gründen aus der Versicherung herausgefallen sind!

Um auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam zu machen, haben Christoph von Weiztel (Bariton), Uwe Packusch (Klavier) und ich (Sprecher) vor zwei Wochen die „Oper für Obdach“ erneut aufgeführt, diesmal  in München im Hauptbahnhof. (Vgl.mein Blog vom November 2017) Technische Probleme führten in München leider dazu, dass wir nur zwei von vier geplanten Auftritten machen konnten. Trotzdem war das Zuschauer- und Presseecho enorm. Nicht nur, weil es solch eine Performance im Münchener Hauptbahnhof überhaupt noch nie gegeben hat. Auch hier wurde wieder die Kombination von inszenierten Schubert-Liedern (Winterreise) mit Bibeltexten als besonders intensiv erlebt.

Am Samstag (8.12.) gestalte mich mit vier anderen zusammen etwas Neues im Öffentlichen Raum: „First Christmas“ – musikalisch-szenische Weihnachtsperformance auf der Bühne im „Ringcenter“ an der Frankfurter Allee, Berlin Friedrichhain (15.30 und 17.30). Wir sind sehr gespannt, wie das gelingt, und welches Echo das haben wird.

Auf dem Weg zum Frieden waren für mich aber auch die Konzerte mit dem Weihnachtsoratorium in der St. Lukaskirche, bei denen ich eine geistliche Werkeinführung gegeben habe.

 

Und auch: Das Adventskonzert der Stabsmusikkorps der Bundeswehr gestern Abend im Berliner Dom. Ich war geladener Gast, weil die Hälfte der Spenden am Ausgang für die Berliner Stadtmission bestimmt waren. (Am 20. Februar gibt das Stabsmusikkorps in der Universität der Künste ein Benefizkonzert komplett für die Stadtmission, konkret für das neue „Zentrum am Zoo“ mit Beratungsangeboten und Bildungsprogrammen.)

Ich habe die adventliche Musik (von „Es kommt ein Schiff geladen“ bis zur Nussknackersuite) dieses phantastischen symphonischen Blasorchesters genauso genossen wie die einfühlsamen und durchaus geistlichen Zwischenmoderationen des Chefdirigenten. Am Schluss wurde gemeinsam gesungen „Komm, o mein Heiland Jesus Christ, meins Herzens Tür dir offen ist…“

Ganz ehrlich, so faszinierend, wie der Weg zum Frieden von der Afra Amba Community gestaltet wird, – ich möchte ihn nicht ohne die Weihnachtsbotschaft gehen müssen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch eine gesegnete und friedensfördernde Advents- und Weihnachtszeit.

 

Äthiopien – Reise zwischen Faszination und Irritation II.

Wenn wir ein neues Land bereisen, möchten wir immer auch die Menschen kennenlernen, die gesellschaftliche Situation und Lebensweise, die Hoffnungen und Ängste, die Herausforderungen und Lösungsansätze.

So war es für uns ausgesprochen schön und hilfreich, dass unsere Gastgeber ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit uns geteilt haben. Die Art und Weise, wie sie aufmerksam und wertschätzend mit ihren Hausangestellten und mit den Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft umgehen (ihr Haus steht mitten in einem Stadtteil aus Wellblechhütten), hat uns beeindruckt. Und die Ungezwungenheit der Begegnungen hat uns die Unsicherheit genommen.

Blick über die Gartenmauer auf Straßenbaustelle und Nachbarschaft

Danach hatten wir für die zwei Tage in den Semien Mountains und dann für die weitere Reise zu den historischen Städten im Norden jeweils einen wunderbaren Guide, der uns auch wiederum sehr persönlich sein Land vorgestellt hat: Sammy in den Bergen, nicht nur ein guter Wanderführer sondern mit seinem kleinen Team im Outback ein aufmerksamer „Dienstleister“ (Fotos)

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Dreigängemenü mit Gaskochern – und in voller Koch-Montur auf 3200 m Höhe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Danach hat uns Andy (mit einem Fahrer) bei der Rundreise durch die historischen Städte des Nordens geführt. Besonders bewegt hat uns, wie Andy, der lange in Leipzig gelebt hat, uns auch durch sein persönliches Zeugnis den äthiopisch- orthodoxen Glauben nahegebracht hat. (Auch wenn uns vieles an dieser sehr archaischen Form des Christentums mehr irritiert als überzeugt hat.)

Aber natürlich wollten wir nicht nur touristische Höhepunkte besuchen, sondern auch verschiedene Hilfswerke kennenlernen. Es gibt davon so viele in Äthiopien, dass wir nur eine kleine Auswahl in Addis Abeba besuchen konnten.

Das war zunächst die „Addis Ababa Leprosy Victims Rehabilitation Association“ (Siehe Titelbild). Dort leben und arbeiten Menschen, die von ihrer Leprakrankheit geheilt sind, aber nicht mehr in ihre Dörfer und Familien zurück können (oder wollen). Hier in der Webwerkstatt wird Baumwolle gesponnen, daraus wunderschöne Tüchern gewebt und zum Teil bestickt.

 

Natürlich haben wir uns hier einen Tischläufer gekauft, auf dem jetzt zu Hause weitere Souvenirs stehen.

 

Als nächstes besuchten wir ein ganz spannendes, von Schweizern gegründetes Projekt:

Addis Guzo Wheelchair Center“. Addis Guzo heißt auf amharisch „Neue Reise“ oder „neue Fahrt“.

Dieses Projekt kümmert sich auf zweifache Weise um Menschen, die z.B. durch einen Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Zum einen ist hier ein kleines Rehazentrum, dass ihnen hilft, mit der Behinderung umzugehen. Zum anderen werden in einer kleinen, feinen Werkstatt ausrangierte Rollstühle oder Rollstuhlteile aus der Schweiz oder Deutschland neu und funktionsgerecht zusammengebaut. Seit der Gründung im Jahr 2010 haben sie dort 2000 Rollstühle zusammengebaut und 4000 repariert. Das ist kostengünstig und schafft Arbeitsplätze.

Eine Gruppe von 8 jungen Erwachsenen spielt im Innenhof auf dem Hartplatz höchst engagiert Rollstuhl-Basketball in schnittigen, tiefergelegten Sport-Rollstühlen.

Nicht besucht, aber ganz oft gehört haben wir von dem von Karl-Heinz Böhm aufgebauten Hilfswerk „Menschen für Menschen“, von dem inzwischen über fünf Millionen Äthiopierinnen und Äthiopier in zwölf aktiven und acht bereits abgeschlossenen Projektgebieten profitieren: Landwirtschaft, Wasser, Bildung, Gesundheit, Einkommen, Nothilfe sind die Arbeitsfelder, in denen die Organisation arbeitet.

Nun, weiter zur „German Church School“:

Vor 45 Jahren wurde diese Einrichtung von der deutschen evangelischen Gemeinde gegründet, die ihre Kirche mitten in einem ziemlich armen Viertel von Addis Abeba hat.

   

Dort treffen wir uns mit dem Pfarrer und weiteren Interessierten aus Deutschland.

 

Blick von der Schulterasse auf den Stadtteil

Gleich dahinter ist das Gelände der Schule, eine Hilfseinrichtung, wie sie im Buche steht. Denn das ist nicht die deutsche Schule für Diplomatenkinder, sondern eine Förderschule für Kinder der allerärmsten Familien aus der Umgebung sowie eine begrenzte Zahl von blinden, körper- oder geistig behinderten Kindern.

Dabei kommt aus jeder Familien immer nur ein Kind zum Zuge. Das klingt zunächst hart, wird aber sofort plausibel durch das Sozialarbeiter-Konzept der Schule.  Denn über das eine Kind erhält die ganze Familie Förderung, d.h. Sozial- und Gesundheitsberatung, punktuell auch medizinische und sogar finanzielle Unterstützung.

Die Eingliederung der Blinden (die in jeder Hinsicht bei Null anfangen) ist sehr durchdacht und methodisch ausgefeilt, sodass jedes Kind seinen eigenen Lernweg gehen kann.

Bei der 45-jährigen Jubiläumsveranstaltung im Frühjahr hatte ein ehemaliger Schüler die Festrede gehalten, der als Blinder inzwischen Rechtsanwalt ist, Familie gegründet hat und nun neue Schüler fördert. Wie mutmachend!

Als höchstes Ziel nennt der Schuldirektor: „Unsere Kinder sollen selbstbewusst werden.“

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Interessante Sprüche an der Pinnwand des leitenen Sozialarbeites

 

 

 

Lustig ist dann unser Klassenbesuch im Matheunterricht, wo die Schüler, die auch Deutsch lernen, sich wirklich trauen, uns auf unserer Sprache ein paar einfache Fragen zu stellen.

Die Schule bekommt keine Förderung vom Staat. Dringend müsste sie erweitert werden, aber leider ist der Kauf des Nachbargrundstücks im Moment noch blockiert. Schade, denn die pädagogische Arbeit ist wirklich absolut brilliant.

 

Apropos pädagogische Arbeit. Zum Schluss kurz zurück nach Berlin.

Denn nach drei Jahren Planungen, Fördermittelaquise, Kalkulationen, Planungsänderungen (weil inzwischen die Baukosten um 30 % gestiegen sind) konnten wir ab Donnerstag endlich die Grundsteinlegung für KiTa, Familien- und Gemeindezentrum in Lichtenberg feiern. Ein Großprojekt, das vor allem mein Kollege für den Bildungsbereich, Andreas Schlamm, vorangebracht hat, während ich im Hintergrund die Gemeinde ermutigt habe, sich auf diesen höchst innovativen Weg zu begeben.

(In ein paar Wochen wird es noch einen 3. Äthiopien-Blog geben. Dann über die Felsenkirchen im Norden und die Afra Amba Community.)

Äthiopien – Reise zwischen Faszination und Irritation I.

Viel ist geschehen seit meinem letzten Blog. So viel, dass ich mal wieder monatelang nicht zum Schreiben gekommen bin. Einen aktuellen Bericht über mein Arbeitsfeld bei der Berliner Stadtmission habe ich überschrieben mit „Jahr der Innovationen“. Und bevor ich von unserer Äthiopienreise berichte, möchte ich stichtwortartig die neuen Projekte und sonstigen Innovationen aufzählen, die seit letzem Sommer allein im Bereich Mission auf den Weg gebracht worden sind:

  1. Gründung der Iranischen Gemeinde

    2017-09-09 16.18.36

    Überreichung der Gründungsurkunde durch Stadtmissionsdirektor J.Lenz

    am 9.9.2017 (mit inzwischen bis zu 70 Teilnehmenden, davon in den letzten drei Jahren fast 30 ehemalige Muslime getauft.)

  2. Missionarische Bildungsarbeit mit benachteiligten Kids im Gesundbrunnenkiez (Gemeinde Wedding, Stettinerstraße) mit der Theologin und Tanz- und Theaterpädagogin Rebecca Aßmann. Gleichzeitig Wiederaufnahme einer überregionalen Netzwerkarbeit „Winterspielplatz“ (eine geschützte Wortmarke der Berliener Stadtmission).
  3. Einführung der neuen Gemeindeordnung zum 1.1.2018 (zur Erprobung) mit 5 verschiedenen Gemeindeformen und gestufter Zugehörigkeit.
  4. Umwandlung der Gemeinde Wilmersdorf zu einer „Einrichtungsgemeinde“ der Citystation zum 1.1.2018, d.h. die geistliche Arbeit ist integraler Bestandteil der Einrichtung. An einer gesamten Neukonzeption des Standortes wird weiterhin fachbereichsübergreifend gearbeitet.
  5. Friedrichshagen: Kauf des angrenzenden Grundstücks. Erste Konzeptionsüberlegungen für einen Neubau: Geistliches Zentrum für Einkehrtage u.ä. und neue Wohneinheiten für Eingliederungshilfe.
  6. Umwandlung des Studentenwohnheims in der Lehrterstr. in „Junges Wohnen“ für Studierende und Azubis als Wohngemeinschaft mit gemeinsamem geistlichen Leben, durch Mentoren begleitet. IMG_20180608_162714_resized_20180623_013423126(In Verbindung damit: Das von Simon Klaas selbst gebaute Tinyhouse „Tabernakle“ im Innenhof als Communityprojekt und Gestaltungsraum, zusammen mit „water 2 wine“)
  7. zeit.laden: Lichtenberg (Friedrichsfelde, Sewanstraße), Anmietung eines Ladenlokals für familienorientierte Nachbarschaftsarbeit (im Vorfeld des Familienzentrums in der Archenholdstraße) zum 1.1.2018. Konzeptionsentwicklung einer offenen Lebensberatungsstelle. Kombination beider Projekte an dem einem Standort als „zeit.laden“. Eröffnung am 17.5.2018 mit hochrangigen Vertretern aus dem Bezirk. Die Leitung hat Stadtmissionar Pfr. Ole Jaeckel-Engler, ausgebildeter Psychotherapeut und Supervisor.
  8. „Geistliche Präsenz in der Heidestraße“: Gemeinsame Planungen mit der Ev. Gemeinde Tiergarten, um im Neubaugebiet nördlich des Hauptbahnhofes (mit 3800 neuen Wohnungen) früh einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen für ein Projekt zur Communityentwicklung, Einsamkeitsüberwindung und geistlichen Angeboten.
  9. Wohnungslosenseelsorge: Nach jahrelangem Suchen haben wir mit Helga Stamm-Berg endlich eine geeignete Person für diese Aufgabe in verschiedenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gefunden, die ihre Arbeit sehr strukturiert und engagiert angeht.
  10. 140 Jahre Gemeinde Frankfurter Allee (Friedrichshain). Das klingt nur nach Jubiläum und nicht nach Innovation. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich die Gemeinde für Nachbarschaft und Kiez interessiert und geöffnet in einer Art und Weise, die zu rasanter Neubelebung und missionarischer Entwicklung geführt hat. Wir sind gerade dabei, finanziert durch unsere Innovationsbudget zusätzliches Personal einzustellen, um die wachsende Gemeinwesenarbeit besonders mit Kindern bzw. Familien  überhaupt stemmen zu können.
  11. Refugio: Das Refugio (gemeinsames Wohnen von Geflüchteten und Einheimischen u.v.m.) ist offiziell zum 1.6.2018 vom Bereich Mission in den Bereich Diakonie gewechselt (was Budget, Personalverantwortung und strategische Entwicklung angeht). Weitere Fachkompetenz aus dem Bereich Begegnung engagiert sich in der Weiterentwicklung von Café und Tagungsbereich. Ich bleibe beratend insbesondere für die geistliche Entwicklung und Kooperation mit dem Kreuzbergprojekt beteiligt (aber eben ab jetzt ohne den Hut aufzuhaben). Das ist eine wirkliche Erleichterung für mich, nachdem ich in den zurückliegenden drei Jahren sehr viel Zeit und Kraft dort hineingesteckt habe. Wir hoffen, dass die breite Fachkompetenz das Refugio als einen Leuchtturm der Stadtmission nochmal wirklich voranbringt.

So, aber jetzt ab nach Äthiopien. Wobei auch diese Reise einen Stadtmissions-Hintergrund hat. Denn eingeladen wurden wir vom derzeitigen Gesandten (also stellvertretenden Botschafter) der Bundesrepublik in Addis Abeba, Matthias Schauer und seiner Frau Katharina, die vorher ehrenamtlich bei der Stadtmission im Trägerkreis der „Frühschicht“ engagiert waren (dem Gesprächsfrühstück für Ministerialbeamte und Menschen aus ähnlichen Arbeitsfeldern).

In einem faszinierenden Land mit sehr freundlichen und zugleich stolzen Menschen sind wir da gelandet. Im einzigen afrikanische Land, das nie kolonialisiert worden ist (abgesehen von einigen Jahren italienischer Besetzung während des 2. Weltkrieges). Ein Land, das die Wurzeln seines König- bzw. Kaisertums auf Menelik I. zurückführt, der Überlieferung nach dem gemeinsamen Sohn von König Salomo und der Königin von Saba. Ein Land mit großer Geschichte und schwieriger Gegenwart unter der sozialistischen Regierung mit Planwirtschaft. Ein Land in dem Steinzeit (bei den indigenen Volksgruppen im Süden, wo wir nicht waren), Mittelalter (in der Landwirtschaft) und Generation Smartphone gleichzeitig nebeneinander existieren; in dem als Transportmittel wahlweise Lastenträger, Esel oder Kamele, Tuktuks, Minibusse, LKWs oder modernste Propellerflugzeuge in Frage kommen (je nach Budget).

Aber eins nach dem anderen und alles mit Bildern:

Der Überlieferung nach hat Makeda, die Königin von Saba, ihren Sohn Menelik als jungen Erwachsenen für drei Jahre zum royalen Praktikum nach Jerusalem geschickt, von wo er dem Befehl eines Engels folgend und unter dessen Schutz die Bundeslade aus dem Tempel stibitzt und nach Äthiopien überführt hat. Blog 55-29

Daraufhin musste Salomo in Jerusalem leider eine Kopie anfertigen und aufstellen lassen. (Jede orthodoxe Kirche in Äthiopien hat übrigens auch eine Modell der Bundeslade. Ohne Lade keine Kirchweihe.)

Blog 55-13Nach verschiedenen Stationen steht die angebliche originale heute in Axum in  diesem im 1965 zwischen alter und neuer Kathedrale errichteten Gebäude mit der grünen Kuppel, dem höchsten Heiligtum der äthiopisch -orthodoxen Kirche. Diese Kirche, zu der heute 60% der Äthiopier gehören, hat von jeher eine ganz enge Beziehung zum Judentum wie wohl keine andere christliche Denomination.

Axum (in der nördlichsten Provinz Tigray) wurde im 1. Jahrhundert n.Chr. zu einer bedeutenden Stadt und wohl bald auch zur Hauptstadt Äthiopiens. Die berühmten Stelen, Teile von Grabmälern, stammen aus dieser Zeit und sind über 20 m hoch.

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Im 17. und 18. Jahrhundert trat dann Gondar als Königsstadt in den Vordergrund. Heute besichtigt man dort die Ruinen einer beeindruckenden weitläufigen Schlossanlage. Der Legende nach hatte sich Kaiser Fasilidas in den Bergen verirrt, als aus einem Teich ein alter Mann aufstieg und ihn anwies, genau hier ein Schloss zu bauen. Später bekam er auch noch die Anweisung, viele Kirchen zu bauen – und zwar als Strafe für die vielen Konkubinen, die er hatte.

Hier einige Eindrücke der phantastischen Bauwerke aus dieser Zeit:

Fast der gesamte Norden Äthiopiens von Addis Abeba bis zur eritreischen Grenze ist Hochland zwischen 1800 m (Tanasee) und 4500 m (Semien Mountains). Und davon wiederum ist ein großer Teil landwirtschaftliche Nutzfläche. 80% der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die aber je nach Berechnung nur 30 – 50% der Wirstchaftsleitung erbringt. Kein Wunder. Denn das meiste ist Subsistenzwirtschaft, d.h. zur Selbstversorgung oder zum Verkauf auf dem Markt im nächstgrößeren Dorf. Das sieht dann so aus:

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Am Tekezefluss im Norden und am Blauen Nil gibt es auch bewässerte Landwirtschaft, die natürlich ganz andere Erträge generieren kann.

Noch gibt es in der Regenzeit reichlich Niederschläge. Aber die Trockenzeit ist viel heißer als früher, sodass die Wasservorräte längst nicht mehr so lange halten, wie vor Beginn des Klimawandels.

Ein echtes Erlebnis ist in jedem Fall der Verkehr. Nicht so sehr durch Hektik (das ist anderswo erheblich schlimmer), sondern durch die verrückte Mischung. Da trifft auch in der Großstadt einfach alles aufeinander – siehe Titelbild (abgesehen von Flugzeugen, modernen Bombardier-Propellermaschinen, die im Inland kleine feine Flughäfen verbinden). Hier einfach eine Serie von Fotos zu diesem Thema:

Blog 55-32An den Flughäfen haben wir dann auch die modernsten Äthiopier(innen) getroffen, wie z.B. diese junge Frau, die zwischen der touristischen Dienstleistung einer traditionellen Kaffee-Zeremonie intensiv mit ihrem Smartphone beschäftigt war.

So  bunt und verrückt wie der Verkehr sind auch die Märkte, unglaublich eng und wuselig und trotzdem „thematisch“ gut sortiert. Und das schöne: Wir konnten da als Weiße ganz entspannt durch schlendern. Natürlich wurden wir häufig angesprochen, um uns etwas zu verkaufen. Aber wenn wir deutlich und klar abgelehnt haben, war es auch gut.

Auffällig ist übrigens auch, wie schnell die Äthiopier gehen, jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir in Südafrika so erlebt haben. Aber vielleicht liegt das auch an dem angenehmen Klima des Hochlandes.

Immer wieder haben wir große Freundlichkeit erlebt. Schulkinder, denen wir begegneten, riefen uns zu: „Welcome in Ethiopia. What`s your Name?“ – „My name is Gerold“ – „How do you like Ethiopia?“ Und dann streckte mindestens eins von ihnen die Hand aus, um mit dem freundlichen Weißen abzuklatschen. Ähnliches hab ich auch mit Erwachsenen bei einem Spaziergang durch eine ziemlich ärmliche Wellblech-Siedlung (immerhin mit Elektrizität und Satelitenschüsseln) in Addis erlebt.

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In der nächsten Folge werde ich demnächst über eine faszinierende nicht-religiöse Kommunität und beeindruckende Hilfsorganisationen in Äthiopien berichten.

Oper für Obdach II

Nach unserem ausgesprochen erfolgreichen Pilotprojekt im März (siehe meinen Blog vom März 2017) haben wir am 3. November die „Oper für Obdach“ ein zweites Mal im Berliner Hauptbahnhof aufgeführt . Genauer ein fünftes bis achtes Mal. Denn auch diesmal sind wir mit dem gut halbstündigen Programm der inszenierten Winterreise von Schubert (Plus Interviews) wieder alle zwei Stunden zwischen 11 und 17 Uhr aufgetreten. Und wieder konnten wir Tausende Menschen mit der Botschaft erreichen: „Lass dich berühren vom Leben anderer – und von der solidarischen Nähe Gottes.“ („Wunderlicher Alter, willst du mit mir gehn…“)

Im Vergleich zum Premierentag haben wir nochmal einiges verbessert. So war in Ulrich Pakusch diesmal der langjährige feste Pianist des Baritons Christoph von Weitzel dabei. Und im direkten Vergleich merkte man, dass die beiden einfach noch viel besser aufeinander eingespielt sind. Im Interview meinte Ulrich Pakusch übrigens auf den enormen Lärm im Hauptbahnhof angesprochen (sinngemäß): Ich finde den Aufführungsort perfekt. Die ganzen Geräusche sind gar keine Konkurrenz, sondern ergänzen den Klang. Besonders schön war das, als oben eine S-Bahn auf dem Ton D bremste, genau als ich den gleichen Ton auf dem Klavier spielte.

Und Christoph von Weitzel fühlte sich auch, wie er erzählte, bei diesem Durchgang deutlich wohler und konnte klarer unterscheiden, wann er als Sänger (bzw. Obdachloser) ganz konzentriert bei sich und in seiner Geschichte blieb –  und wann er bewusst mit dem Publikum kommunizierte. Letzteres z.B. bei der Strophe (aus dem Lied „Wegweiser“):

„Habe ja doch nichts begangen,
dass ich Menschen sollte scheu’n.
Welch ein törichtes Verlangen
treibt mich in die Wüstenei’n?“

Das Ganze wurde auch dadurch nochmal erleichtert, dass diesmal ein Mitarbeiter der Technikfirma den Sound machte, der selbst Musiker ist und von daher nochmal andere Feinheiten in den Klang brachte.

Aber auch an der Rezitation meiner Bibeltexte hatten wir nochmal gearbeitet. So dass ich nicht nur als Sprecher auf die Bühne getreten bin, sondern in die Szene rein gegangen und die Texte fast gespielt habe.
Dadurch wurde die enge Verflechtung noch deutlicher und viele Zuschauer noch stärker berührt.

Das wiederum haben die Mitarbeitenden der Stadtmission, die die Textflyer verteilten aufgreifen können. Denn beim ersten Mal waren das vor allem FSJler, diesmal aber in drei der vier Vorstellungen Seelsorger und Seelsorgerinnen, die dann direkt am Rande leise kurze Gespräche führen konnten und diese Chance sehr bewusst wahrgenommen haben.
Denn es geht uns ja nicht nur darum, auf die immer dramatischer werden Situation der Obdachlosen in Berlin aufmerksam zu machen, sondern eben auch biblische Inhalte im öffentlichen Raum so zu präsentieren, dass Menschen spüren und verstehen, dass es auch für sie relevant ist. Eben: „Ein Dach überm Kopf und ein Dach über der Seele.“

Dass an diesem Tag insgesamt fast 1200,- € an Spenden für die Kältehilfe zusammen gekommen sind, war dabei natürlich ein erfreulicher Nebeneffekt. (Wieder hatte ja die Deutsche Bahn die gesamten Kosten der Veranstaltung getragen.)

Auch diesmal hat unser „Artrejo“ Filmteam wieder bewegende Bilder eingefangen einen schönen Trailer erstellt, der nochmal andere Elemente als im März zeigt. Schaut ihn euch an.
Hier ist der Link: https://www.youtube.com/watch?v=mvupeKlKodM

Ich empfehle euch aber auch wärmstens die aktuellen Filmbeiträge rund um die Themen der Kältehilfe der Berliner Stadtmission:

 

  • über die Ambulanz für Obdachlose

  • oder aus dem vorigen Jahr den Film über unser Übergangshaus, der zugleich viele Hintergründe deutlich macht:

Im übrigen sind wir angefragt worden, die Oper für Obdach auch im Münchener Hauptbahnhof voraussichtlich Ende Februar 2018 aufzuführen. Mal schaun, ob das klappt.