Schlagwort-Archive: Architektur

Früher hatte man auch was drauf!

Häufig sind wir heutzutage mit dem Gefühl unterwegs, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Zwar nicht im Hinblick auf die Lösung der großen Zukunftsaufgaben, aber doch im Vergleich zu früher, als es noch keine Smartphones und Wetter-Apps gab, keine Gentechnik und Rußfilter, keine Social Media und Endoskopie, keine Flüge über den Atlantik und kein google-earth…

Wenn man dann aber mal Gelegenheit hat, sich genauer mit einem konkreten Abschnitt aus der Vergangenheit zu beschäftigen, ist man oft höchst erstaunt und fasziniert, was „die früher auch schon drauf hatten.“ Zum Beispiel die statischen Kenntnisse der gothischen Baumeister, die enormen Forschungsergebnisse von einzelnen Personen wie Goethe oder Alexander von Humboldt usw.. Dass wir davon überrascht, darüber erstaunt sind, spiegelt aber immer auch unsere Gegenwarts-Arroganz wieder, in der wir allzu oft vergessen, das wir als „Zwerge auf den Schultern von Riesen“ stehen. Wobei, jedenfalls was die Wissenschaft angeht, diese Riesen bei genauem Hinsehen aus unzähligen Zwergen bestehen, und die Berühmtheiten ohne die vielen kleinen „Zulieferer“ von Fragen, Forschungen und Entdeckungen auch nicht weit gekommen wären. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Gelegenheit, uns mit einem konkreten Abschnitt aus der Vergangenheit zu beschäftigen, hatten wir vorigen Samstag beim Besuch der Beelitz Heilstätten. Jedem Berliner scheint dieser Name was zu sagen. Mir war der Ort neu, wenn auch nicht der Ortsname. Beelitz, etwa eine halbe Autostunde südwestlich von Berlin ist zunächst mal bekannt als Spargel-Stadt, weil im dortigen Umland feinster Spargel angebaut und überall in Berlin verkauft wird.

Die Beelitz Heilstätten sind (laut der webseite http://www.gestern-in-brandenburg.de/beelitz-heilstaetten-eine-wechselvolle-geschichte/ , die die gesamte Geschichte darstellt, deshalb lohnend zu lesen ist) „Lungenheilstätte für die Tuberkolosekranken von Berlin, Lazarett in beiden Weltkriegen, Zufluchtsort für Adolf Hitler und Erich Honecker, größtes sowjetisches Hospital außerhalb der UdSSR, Ort von schaurigen Verbrechen, beliebt bei internationalen Filmcrews, Fototouristen und Hobby-Abenteurern.“

In einer interessanten und lebendigen Führung durch drei Gebäude haben wir die Geschichte erzählt bekommen und sehen können.

Ausgangspunkt war die epidemische Ausbreitung der Lungenkrankheit Tuberkulose im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Kein Virus, sondern eine bakterielle Krankheit, hochansteckend mit großen Schädigungen der inneren Organe, vor allem der Lunge, rapidem Gewichtsverlust, deshalb auch „Schwindsucht“ genannt, und häufig tödlichem Ausgang. Um 1880 hatte jeder zweite Todesfall in Deutschland im Alter von 15 bis 40 Jahren diese Ursache. In Berlin war es besonders schlimm. Denn die Stadt hatte sich durch den Industrialisierungs-Zuzug innerhalb von nur 20 Jahren von 500 Tausend Einwohnern auf weit über eine Million entwickelt, also verdoppelt. Die Arbeiterfamilien wohnten mit unzähligen Kindern in hastig errichteten Mietskasernen in winzigen, feuchten Zweizimmerwohnungen. Betten wurden teilweise tagsüber untervermietet an wohnungslose Arbeiter, die nur in Nachtschicht arbeiteten. Die Hygienebedingungen waren ebenso katastrophal wie das Essen kärglich und ungesund war. (Das ist übrigens genau die Zeit, als die Berliner Stadtmission gegründet wurde: 1877.) 1882 hatte Robert Koch das Tuberkulose-Bazillus (Tbc) entdeckt. In unserer Corona-Pandemie wird leicht vergessen, dass Tuberkulose auch heute immer noch die Infektionskrankheit mit dem höchsten Sterblichkeitsrate ist: jährlich erkranken weltweit etwa 10 Millionen Menschen pro Jahr. Nach dem Bericht der WHO starben 2015 etwa 1,4 Millionen Menschen an Tuberkulose.

Angesichts der enorm hohen Zahlen an Erkrankungen und Todesfällen gerade bei jungen Männern hatte man damals in Preußen schon Angst, bald kein Heer mehr aufstellen zu können. Heilbar oder medikamentös behandelbar war die Krankheit noch nicht. Aber was man inzwischen herausgefunden hatte war, dass eine Kur in gesunder Luft mit gesundem, nahrhaftem Essen einen erheblichen Einfluss auf einen positiven Krankheitsverlauf hat.

So wurde ab 1898 die Beelitz Heilstätte als Sanatorium für die Berliner Tbc-kranken Arbeiter und Arbeiterinnen eingerichtet. Und dabei wurde an alles gedacht:

Schöne Parkanlagen in wunderschöner Waldlandschaft für die Seele (angelegt vom königlichen Gartenbauinstpektor Karl Koopmann).

Wohnen in Doppelzimmern in schlossartigen Gebäuden des englischen Landhausstils.

Absolut reine, rauch- und staubfreie Luft für die Lungen. Der Westwind trieb den Ruß und die sonstige Luftverschmutzung Berlins in die andere Richtung, und geheizt wurde nicht mit Verbrennungsöfen in jedem Haus, sondern einem an der Südostseite gelegenen Heizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Koppelung!).

Täglich 6 Stunden Ausruhen und „Luft-Baden“. Fünf! Mahlzeiten pro Tag, mittags mit Rotwein, abends mit Bier.

Und das Ganze direkt an der neugebauten Bahnlinie Potsdam-Jüterbog.

Die modernste Tuberkulose Heilanstalt Anfang des 20. Jahrhunderts mit 600 Betten setzte Maßstäbe. Von 1903 bis 1908 wurde die Anlage auf 1200 Betten erweitert und umfasste dann 60 Gebäuden auf einer Gesamtfläche von ca. 200 Hektar. Das Gesamtgelände wurde in vier Areale unterteilt, die streng voneinander getrennt waren nach zwei Kriterien: a) Hochinfektiöse Tuberkulose Patienten – nicht-ansteckende sonstige Krankheiten (Stoffwechsel, Verdauung, Herz); b) Männer – Frauen. Während a) medizinisch bis heute absolut sinnvoll ist (Quarantäne), entspricht die andere Trennung nun gar nicht mehr unserer Kultur.

Jedenfalls ermöglichte die neu gegründete Krankenkasse der Landesversicherungsanstalt bitterarmen Menschen eine dreizehnwöchige Kur an diesem wunderbaren Ort. Die Heilungsquote lag bei immerhin 80 %.

Das Areal des früheren Frauensanatoriums wurde nach dem 2. Weltkrieg bis 1994 als sowietisches Krankenhaus verwendet. Ein großer Teil aber verfiel während der DDR-Zeit, unter anderem mit dem spannenden Ergebnis einer Dachbegrünung ganz eigener Art auf dem sogenannten „Alpenhaus“ (so genannt, weil durch den Bauaushub hier Hügelchen entstanden waren).

Die Sanierung der denkmalgeschützten Gebäude kam 2001 zum Erliegen durch den Konkurs der Eigentümergesellschaft und anschließend, als das Ganze nicht mehr bewacht wurde, durch wilde Parties, Wandalismus, Schrottdiebe usw.

Inzwischen wird aber von Süden an Stück für Stück saniert und u.a. in schicken Wohnraum verwandelt.

Der Nordwestteil ist zum Freiluftmuseum geworden, über das ein weitläufiger, um die 20 Meter hoher Baumwipfelpfad führt. Eine Attraktion für die ganze Familie. (Ein ziemlich Corona-geeignetes Ausflugsziel, wenn auch auf dem Aussichtsturm grenzwertig voll.)

Wir haben jedenfalls den herrlichen Herbsttag mit buntem Laub und frischer, klarer Luft in dieser beeindruckenden Umgebung sehr genossen. Und uns ist mal wieder recht bewusst geworden: Früher hatte man auch was drauf!

Äthiopien – Reise zwischen Faszination und Irritation III.

In meinem 3. Blog zur Reise durch Äthiopien möchte ich wie versprochen vor allem von den Felsen-Kirchen im Norden und vom religiösen Leben der äthiopisch-orthodoxen  Kirche erzählen.

Wir hatten das Glück, mit „Andy“ (sein äthiopischer Name ist etwas komplizierter) einen persönlichen Guide bei unserer Reise durch den Norden zu haben, der nicht nur zehn Jahre in Deutschland gelebt hat und vorzüglich deutsch spricht, sondern  profunde Kenntnisse der Theologiegeschichte und der religiösen Praxis hat – und zwar nicht nur als Reiseführer, sondern auch aus persönlicher Glaubensüberzeugung. So bekamen wir einen Zugang zu dieser sehr archaischen Form des christlichen Glaubens. Aber dazu später mehr.

Denn zunächst mal begann unsere erste Begegnung mit der äthiopisch-orthodoxen Kirche alles andere als erfreulich. Wir waren zwar schon darauf vorbereitet worden, aber trotzdem erstmal fassungslos, als in Addis Abeba um 4 Uhr nachts! die „Stadtteil-Beschallung“  von einer Kirche in der Nähe losging: Über verzerrende Megaphon-ähnliche Lautsprecher wird ein Singsang übertragen, wie wir ihn noch nie gehört haben. Das erinnert entfernt an den Ruf eines Muezzin, wirkt irgendwie improvisiert, ein bisschen pentatonisch, aber vor allem schief. Und  zwar stundenlang! Einen Tag später in Gondar erleben wir dasselbe nochmal gesteigert. Es ist nämlich Sonntag und dazu noch eins der vielen Marienfeste. Ich schreibe in mein Tagebuch: „Ohropax rein und die akustischen Reste, die immer noch durchdringen, als Form von Meditation zu integrieren suchen.“ Aber an Tiefschlaf ist nicht zu denken. Im Laufe der nächsten Stunden ergänzen etliche weitere Stimmen den Vorsänger zu einer unbeschreiblichen Kakophonie, über die man nur Lachen oder Weinen kann. Zu Beginn des Frühstücks auf dem Dachgarten gegen 7.30 Uhr gesellen sich zwei weitere Kirchen in der Umgebung mit ähnlichen Klängen hinzu. Beim dritten Kaffee um 8.00 Uhr haben alle liturgisch gleichgezogen: Auf eine im Singsang vorgetragene Liturgie folgt eine höchst afrikanisch-engagiert vorgetragene Predigt. Das heißt drei Predigten aus drei Richtungen gleichzeitig.“

Über den Gesang lernen wir später, dass Äthiopien 2018- (700)ausschnittdas keinesfalls irgendwie improvisiert ist, sondern eine Wissenschaft für sich, nach den musikalischen Zeichen des heiligen Yared aus dem 6./7. Jahrhundert die heiligen Texte präzise zu rezitieren. Das ist Aufgabe der Kirchensänger (däbtäras) und erfordert eine jahrelange Ausbildung.

Nach dem Frühstück besuchen wir eine Kirche, in einem historischen Park gelegen.

Blog 57-24

Inzwischen hat – wie wir erfahren – die Eucharistie stattgefunden. Das ist der einzige Teil, zu dem die Gottesdienstteilnehmer in die Rundkirche hinein dürfen, genauer gesagt, in den äußeren Umgang der Kirche („Quene Mahlet“ genannt), Männer und Frauen natürlich durch zwei verschiedene Türen. In das Zentrum der typischen Rundkirche (siehe auch Titelbild) dürfen nur die Priester eintreten. Dort im Allerheiligsten („Queddus Qeddusan“) steht grundsätzlich eine Nachbildung der Bundeslade einschließlich Gesetztestafeln . – Ihr erinnert euch vielleicht an den Geschichtsüberblick  in meinem ersten Äthiopien-Blog, dass der erste König Melenik I. nach seinem „Praktikum“ bei König Salomo in Jerusalem die Bundeslade entwendet mit nach Äthiopien genommen hat. Nicht nur deshalb spielt die Verbindung zu Israel und Jerusalem eine ganz enorme Rolle in der äthiopischen Kirche. Sie hat übrigens mit den uns bekannten byzantinisch-orthodoxen (also osteuropäischen) Kirchen kaum etwas gemeinsam, sondern gehört mit den Kopten  (naher Osten) und Nestorinanern (Indien) zu den (orientalischen) Kirchen, die den Mehrheitsweg bei den altkirchlichen Konzilien im 3. und 4. Jahrhundert nicht mitgegangen sind und entsprechend ausgeschlossen wurden. (Es ging damals um die Frage, wie göttliche und menschliche „Natur“ in Jesus Christus miteinander verbunden sind. Ich erspar euch hier die Einzelheiten, die uns Andy aber wie gesagt mit enormer theologischer Kenntnis präzise referierte.)

Typisch für die äthiopisch-orthodoxe Kirche ist auch, wie wichtig ihnen die Trinität, also die göttliche Dreieinigkeit ist. Hier eine Ikone, die man in dieser Art ganz häufig findet: Drei alte Männer! Hä? – Die Bedeutung ist folgende: Damit soll dargestellt werden, dass Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist gleich alt sind, also gleich ursprünglich. Wenn ihr das Bild anklickt und vergößert, seht ihr, dass alle drei ein Straußenei in der Hand haben. Das hat folgende Bewandtnis: Strauße brüten ihre Eier nicht aus, indem sie sich draufsetzten, sondern lassen das die Sonne machen. Aber die Straußeneltern halten sich immer in Sichtweite auf und bewachen das Ei – zwar aus dem Abstand, aber sehr aufmerksam. So achtet Gott aus dem Abstand auf jeden einzelnen Menschen und bewacht ihn.

Nachgebildete Straußeneier findet man auch auf dem Dach der Kirchen, und zwar 7 an der Zahl als Symbol für die 3 himmlischen und 4 irdischen Wunder beim Tod Jesu .

Inzwischen geht der Gottesdienst draußen erkennbar fröhlich weiter, mit Gesängen, die sich fast wie Lieder anhören, Gebeten und – wie es scheint – nochmal Kurzansprachen des Priesters. Zum fröhlichen Erscheinungsbild gehört jedenfalls auch, dass sich Frauen wie Männer zum Gottesdienstbesuch in weiße Tücher hüllen. Das verändert dann auch an den Sonn- und vielen Feiertagen das Straßenbild deutlich.

Die Zahlen zur Religionszugehörigkeit differieren erheblich. http://www.aethiopien.de macht folgende Angaben: „Äthiopier sind überwiegend tief gläubig. Fast 90 Prozent gehören verschiedenen Glaubensgemeinschaften an. Die Religionszugehörigkeit ist so unterschiedlich wie die ethnische Zusammensetzung. Die beiden großen Glaubensgemeinschaften bilden äthiopisch-orthodoxe Christen (43 %Blog 57-26) sowie sunnitische (34 %) Muslime. Daneben gibt es verschiedene äthiopisch-evangelische Christen (immerhin ca. 10%), Katholiken, Anhänger von Naturreligionen sowie Juden.“ Traditionell haben die drei abrahamitischen Religionen in Äthiopien ein sehr gutes und friedliches Verhältnis zueinander.  Wie ich an anderer Stelle hörte, wird diese friedliche Balance leider seit einigen Jahren durch viel Geld aus Saudi Arabien gefährdet …

Aber zurück zu den äthiopisch-orthodoxen Christen:

Die Priester sind hoch angesehen, denn sie tragen die Verantwortung für die Seelen der Gläubigen, wie Andy uns erklärt. Jeder Gläubige sollte einen „Seelenvater“ haben, dem er seine Sünden bekennt und der ihm Bußübungen auferlegt, um ihn (oder sie) wieder auf den rechten Blog 57-31Weg zu führen. Wir beobachten, wie Priester im Umfeld von Kirchen herumgehen, Menschen segnen und sie ihr Kreuz küssen lassen. An anderer Stelle sehen wir aber auch, wie ein Priester am Rand einer Baustelle eine alte, gebrechliche Frau an die Hand nimmt und sie über einen engen und sehr unsicheren („Bürger“-)Steig geleitet.

Insgesamt ist der äthiopisch-orthodoxe Glaube aber sehr stark von der Einhaltung vieler unterschiedlicher Regeln bestimmt, die den ganzen Alltag durchziehen. Für einen Protestanten wie mich ist das doch sehr fremd, um nicht zu sagen fragwürdig, dass dort sehr klar ist: Deine Chancen auf den Himmel hängen komplett davon ab, wie weit du die Vorschriften einhältst (Fasten, Feiertage, Bußübungen, Gebete, Heiligenverehrung usw.). Irgendwann hab ich natürlich dann auch mal vorsichtig erzählt, dass wir das ein wenig anders sehen. Dass wir glauben, Jesus hat alles Nötige getan, damit wir in der Beziehung zu Gott einfach ihm vertrauen dürfen, uns nicht mehr Sorgen machen müssen, ob das mit Gott wohl klappt. Und deshalb alle Kraft hineinstecken können, die Welt etwas mehr in seinem Sinne zu gestalten. – Er erzählte dann aber auch – was mich wiederum positiv überraschte -, dass es durchaus üblich ist, eine eigene Bibel zu haben und darin zu lesen. Wir hatten jedenfalls den Eindruck, dass Andy sich nach seiner Rückkehr aus Deutschland sehr bewusst wieder auf die Religiosität seiner Heimat, also seines Kontextes eingelassen hat. Und das – finde ich – verdient Respekt.

Wenn jemand privat oder als Gruppe nach Äthiopien reisen will und dabei wirklich fundiert das kirchliche Leben kennenlernen möchte, dann können wir euch „Andy“ nur aufs Allerwärmste empfehlen (und auf Anfrage den Kontakt herstellen).

Jetzt hab ich schon soviel von diesem wunderbaren Guide erzählt. Nun endlich auch ein Foto, aufgenommen in der berühmten Stadt der Felsenkirchen: Lalibela.

Und damit kommen wir auch endlich zu diesen berühmten und einzigartigen Baudenkmälern aus dem 12.  und 13. Jahrhundert, dem Höhepunkt einer langen Tradition des Felsenkirchenbaus.

Lalibela, zweitälteste Königsstadt als Sitz der Zagwe-Dynastie (914-1268) liegt in etwa 2500 m Höhe auf einer Bergschulter des 4260 m  hohen Abuna Yosef. Es bekam eine zweite, nämlich religiös-symbolische Bedeutung, als nach dem Ende des „christlichen“ Kreuzfahrer-Königreichs Jerusalem 1187 der Sultan dort wieder die Oberherrschaft innehatte und die Reisewege nach Jerusalem blockierte. Für äthiopisch-orthodoxe Christen war (und ist) aber die Pilgerreise nach Jerusalem einmal im Leben in etwa das, was der Hadsch (Reise nach Mekka) für Muslime bedeutet.  Deshalb ließ König Lalibela (1167-1207) seinen Regierungssitz als symbolisches Jerusalem und somit heiligste Stadt in Äthiopien ausbauen. (Ihm zu Ehren wurde die Stadt umbenannt, und er selbst zu einem äthiopischen Heiligen.)

In der Stadt wurden außer den Felsenkirchen symbolisch heilige Orte aus Israel wiedererrichtet: Das Jordantal als ein tiefer Graben zwischen zwei Kirchen, der Berg der Verklärung und der Tabor in Form von zwei steilen Hügeln und sogar drei leere Grabstellen im Boden der größten Felsenkirche (Kirche des Erlösers)  als die Gräber von Abraham, Isaak und Jakob. Auch den schmalen Weg ins Himmelreich findet man hier (wo man rechts ins Wasser und links ins Feuer abstürzen kann) sowie das berühmte Nadelöhr, durch das kein Reicher hindurch passt.

       

Wie auch an anderen Pilgerorten der Welt mischt sich viel schlichte Volksreligiosität darunter, sodass wir uns schon immer wieder fragen, ob das wirklich die gleiche Religion ist wie die unsrige. (Wobei: Wenn man am Wallfahrtsort „Maria im Walde“ im östereichischen Stubeital die spanischen Pilger beobachtet, kommt einem die gleiche Frage.)

In Äthiopien spielt z.B. (ähnlich wie in muslimischer Volksfrömmigkeit) die Angst vor dem Bösen Blick eine große Rolle. Deshalb werden böse Menschen auf Gemälden immer nur im Profil dargestellt, wie hier der Pharao, der mit seinem Heer im Schilfmeer untergeht. Im Profil sieht man ja nur ein Auge; und dann „funktionert“ der böse Blick nicht.

Dass es sich doch um die gleiche Religion handelt, zeigen aber die vielen biblischen Geschichten, die bildlich dargestellt werden, wie hier im Kloster „Ura Kidanemihret“ auf einer Halbinsel im Tanasee (Andy hat uns dort einer fröhlichen Bibelkundeprüfung unterzogen):

Die Felsenkirchen selbst sind architektonische Wunderwerke, weil sie nicht etwa in Höhlen gebaut worden sind, sondern komplett aus massivem Sandstein herausgekratzt und -gestemmt wurden:

Zunächst ein 10 – 12 Meter tiefer rechteckiger Graben, sodass ein Steinklotz in der Mitte übrig bleibt. Und dann in diesen Quader hinein Türen gehauen und Stück für Stück der Innenraum, die Fenster, ja sogar die Verzierungen herausgemeißelt und den Schutt hinausgetragen. (Das gelang deshalb in erstaunlich kurzer Zeit, weil nachts – wie die Heinzelmännchen von Köln – Engel kamen und bei der Arbeit halfen.)

      

Aber dann erst mal die Raumwirkung, wenn man sich hineinbegibt! Besser als in dem lesenswerten Reiseführer zu Äthiopien (aus dem Reise-Know-How-Verlag, S. 170) kann ich’s auch nicht formulieren: „Wir können zwar die Kirchen aufzählen, beschreiben aber lässt sich der unglaubliche Eindruck kaum, den dieses Labyrinth aus Stein und Höhlen, Licht, Schatten, unförmigen Gängen und wunderbar klaren Formen hinterlässt, dazu noch mittelalterlich anmutende Priester, die ihre Kreuze präsentieren, verhutzelte Mönche und neugierige Kinder. Lalibela muss man gesehen und erlebt haben.“

Blog 57-11

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

    

Mit dieser faszinierenden Sicht auf die als letzte gebaute Kirche „Bete Gyorgis“ (zu Ehren des Heiligen Georg, der sich im Traum bei König Lalibela beschwert hatte, das ihm noch keine Kirche errichtet worden sei), will ich den dritten Teil meines Reiseberichtes beenden. Ihr ahnt wahrscheinlich, dass ich noch viele Legenden erzählen, Eindrücke schildern und Hintergründe darstellen könnte. Aber Ihr müsst das ja auch alles lesen… 😉

Auf jeden Fall muss ich euch noch von der Afra Amba Community berichten. Aber das folgt dann irgendwann in den nächsten Wochen im IV. Teil.