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Berliner Hochsommer

Ich mag den Hochsommer in Berlin. Ehrlich. Viele andere stöhnen über die Hitze. Natürlich ist es heiß. Aber Dank des leichten Ostwindes nicht schwül (nur ganz selten) – und nachts kühlt es meistens ganz schön ab. Wenn man vorher in der Kölner Bucht gelebt hat, ist das hier sehr viel angenehmer.

Angenehm ist auch, dass die S-Bahnen ziemlich leer sind, jedenfalls morgens auf dem Weg zur Arbeit. Keine Schüler – und auch sonst scheint halb Berlin ausgeflogen zu sein. Die zusätzlichen „Touris“ fallen kaum auf. Höchstens, wenn sie in einer orientierungslosen Gruppe mit riesen Rücksäcken und Koffern im Bahnhof Rolltreppen und Bahnsteige blockieren – und dabei nicht im Entferntesten merken, wie sehr sie im Weg sind. Da muss man manchmal richtig die Ellenbogen ausfahren. Und man bekommt am Abend eines heißen Tages in der S-Bahn  Sauna gratis, was auch nicht angenehm ist. Blog Nr 33 - 101Aber dann gibt es andere Erfreulichkeiten, wie dieser Cellist im U-Bahnhof Schönleinstraße (Neukölln), dessen einfühlsame Musik mir dann auch mal 2 Euro wert war.

Aber was macht man im sommerlichen Berlin – zum Beispiel an einem Spätnachmittag oder freien Wochenende (wenn man kein Tagestourist ist). Wir haben (nach unserem Bergurlaub in Tirol) unsere Entdeckungsreise an solche Orte fortgesetzt. Und natürlich möchte ich Euch wieder ein bisschen davon miterleben lassen.

Zwei Adressen für das hippe Berlin sind die Eastside-Galerie – längst berühmtester Mauerrest und natürlich auch ein Touristen-Tipp. In Friedrichshain gelegen, 1,5 km am östlichen Spreeufer entlang zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke nahe der O2-Arena: Nach der Wende haben 118 Künstler das Mauerstück von der Straßenseite aus bemalt, viele der Kunstwerke drehen sich um das Thema Frieden und Verständigung, bzw. die Überwindung von Mauern.

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Inzwischen ist aber nicht nur die Spreeseite mit mehr oder weniger schönen Graffitis verziert, sondern auch die Galerie-Seite ist nicht von zusätzlichen „Eintragungen“ verschont geblieben. Wir beobachten etliche Touristen, die meinen, sich mit Edding auf jedem einzelen Gemälde verewigen zu müssen.

Überhaupt ist es mindestens so interessant, die Kombination aus 25jährigem Kunstwerk und aktuellen Menschen auf sich wirken zu lassen. Hier ein paar Beispiele (klickt die Bilder einzeln an und achtet auf Details!).

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Bald ist man bei der architektonisch hübschen Oberbaumbrücke (1894-96 erbaut und zu DDR-Zeiten ein Grenzübergang) und auf der anderen Seite in Kreuzberg. Aber so richtig!

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Wir schlendern weiter, bis wir zum Görlitzer Park kommen, in Berlin seit Jahren berühmt-berüchtigt für seinen ergiebigen Drogenmarkt. Wohl deshalb macht auch der Baedecker einen großen Bogen um diesen Park, der aber ein echtes Erlebnis ist – jedenfalls an einem Sommernachmittag. Direkt am Parkeingang bekommt man IMG_6918den Eindruck, irgendwo in Schwarzafrika gelandet zu sein. Denn plötzlich sieht man nur noch Grüppchen dunkelhäufiger Männer beisammen stehen. Ein bisschen merkwürdig wirkt das schon. Aber wenn man mal riechen möchte, wie „Gras“ riecht (n‘ Joint), ist man hier an der richtigen Stelle, wie übrigens auch in der Hasenheide oder der Sonnenallee in Neukölln.

Wenn man im „Görli“ weitergeht durch diesen landschaftsarchitektonisch hochinteressanten, aber total verlodderten Park, wird es wieder „richtig Berlin“: Diese Mischung! Da grillt eine türkische oder arabische Familie, dort breitet sich ein Roma-Clan aus. Dazwischen überall – überwiegend junge – Einheimische, sagen wir mal mindestens Mitteleuropäer. Und dann auch immer wieder Gruppen, die in sich kunterbunt sind. Unzählige Fahrräder liegen herum. Und alles Volk ist total entspannt und gut drauf.

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Mitten im Park: Ein Kinderbauernhof mit Hühnern, Schweinen, einem Misthaufen! Natürlich von einer freien Initiative organisiert.

Jeden Morgen macht die neugegründete Laufgruppe vom Sharehaus Refugio, zu der auch unser Sohn Lukas gehört, seine Runden durch den Görlitzer Park. Die ganzen Dealer seien völlig ungefährlich – falls man nicht Drogensüchtig sei, bekomme ich erzählt. –

Noch innerhalb der Stadtgrenzen Berlins, aber eigentlich nicht mehr richtig Berlin, sondern eine Welt-für-sich durchstreifen wir am Samstag: Köpenik und Rahnsdorf ganz weit im Südosten am Müggelsee. In der Nähe der Rahnsdorfer Dorfkirche (und hier ist Dorf auch Dorf) leihen wir uns ein Zweier-Kajak und paddeln auf der Müggelspree in Richtung Neu-Venedig. Zu dieser idyllischen Siedlung, die mit ihren vielen engen Kanälen ihrem Namen alle Ehre macht, muss ich nicht viel erzählen. (Die Bilder sprechen für sich.) Höchstens dass der Boots- und Schiffverkehr einschließlich des dazugehörenden Wellengangs auf der Müggelspree unmittelbar an das Treiben auf dem Canale Grande in der Serenissima erinnert.

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Wieder an Altrahnsdorf vorbei paddeln wir noch zum kleinen Müggelsee: Nicht nur ausgesprochen wasserfahrzeughaltig, sondern auch mit einer tollen, amphietheater-artigen Badestelle (kostenlos). Im echten Venedig sollte man das Baden ja eher sein lassen.

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Dämlicherweise haben wir unsere Badesachen im Auto gelassen. Aber es gibt ja noch den Tegeler See ganz bei uns in der Nähe, in dessen Fluten wir uns gegen Abend noch stürzen werden. Vorher machen wir aber noch einen Abstecher in die Altstadt von Köpenick mit Rathaus, Schloss und: Wasser.

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Das ist dann doch auch wieder echt Berliner Hochsommer, wer sich hier unreglementiert IMG_6958gleichzeitig im Wasser (Dahme-Spree-Mündung) bewegt: Ausflugsdampfer und Schwimmer und sehr unterschiedliche Boote. IMG_6962

Was ist Erholung?, haben wir auf der Rückfahrt aus unserem Urlaub diskutiert: Endlich mal wieder ausgeschlafen sein? Klar, auch ganz wichtig. Aber welche Bedeutung hat der angeblich so wichtige Abstand vom Alltag? Ich habe irgendwo ein paar Gedanken dazu gelesen, die wir weiter denken:

Den Kopf frei bekommen, keine E-Mails lesen, beim Wandern oder Schwimmen mal nichts denken, die täglichen Herausforderungen der Arbeit mal vergessen – und dann auch wieder aus ganz anderer Perspektive anschauen. Ist vieles wirklich so wichtig, wie ich es oft denke? Mache ich mir im „normalen Leben“ einen Kopf um Dinge, die man auch ganz gelassen nehmen könnte? Sind meine Schwerpunkte richtig gesetzt? Usw.

Wie „erholt“ man ist, zeigt sich dann nicht nur an schönen Urlaubserlebnissen, die sich anschließend erzählen lassen. Vielleicht zeigt es sich noch mehr daran, ob und wie lange dieser andere Blick auf den Alltag – im Alltag anhält. „Der Alltag hat mich wieder“ ist womöglich eine viel fatalere Aussage, als es auf den ersten Blick erscheint. Aber habe ich Einfluss darauf, ob und wie lange Erholung im zweiten Sinne anhält? Kann oder muss ich dazu andere Denkmuster für den Alltag regelrecht einüben? Oder ist das einfach ein Geschenk?

Der Alltag hatte Christiane insofern ganz schnell wieder, als in der Notunterkunft für Flüchtlinge, den Traglufthallen am Poststadion schon wieder „Land unter“ war. Vorige Woche hatte das Landesamt mal an einem Tag ca. 1600 Flüchtlinge in der Erstaufnahme. Aber leider hat die Politik im vergangenen Jahr nicht etwa für grundlegende Verbesserungen zum Beispiel durch Einstellung ausreichend vieler neuer Mitarbeiter in den Behörden gesorgt. Und so sind schon nach einem kurzen Verschnaufen im Frühsommer die Verhältnisse jetzt wieder wie im vorigen Herbst oder schlimmer. Nur dass diesmal wirklich keiner sagen kann: „Das kommt aber jetzt unerwartet.“ Statt dessen hat man kostbare Monate mit einem lächerlichen Korruptionsskandälchen vertan, das nicht wirklich eins war.

So werden alle freien Träger (natürlich auch wir) mal wieder angebettelt, irgendwie zu helfen. Mittwoch und Donnerstag hat Christiane (und andere vom Team) bis halb zwei in der Nacht gerödelt, um dem neuen Ansturm Herr zu werden. Am Freitagabend um kurz vor 19 Uhr rief eine verzweifelte Mitarbeiterin vom LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) bei Matthias Hamann, dem Chef unserer Traglufthallen, an, ob wir – zusätzlich zur überbelegten Halle – irgendwie noch 100 Flüchtlinge unterbringen könnten. Innerhalb von vier Stunden hat dann unser sensationelles Team organisiert, dass ein Teil der Winternotübernachtung geöffnet wird, und 60 Feldbetten zum Moscheeverein transportiert, mit dem wir (seit dem Ramadan) eng kooperieren. Um Mitternacht hatten alle Hundert ein Bett und was zu essen!

Und jetzt überlegen wir in der Stadtmission, wie wir die Hilfsbereitschaft vieler Menschen so nutzen und vernetzen können, dass Privathaushalte für ein zwei Nächte obdachlose Flüchtlinge aufnehmen können. Aber damit sind wir schon mitten im Thema meines nächsten Blogs (der hoffentlich nicht wieder vier Wochen auf sich warten lässt).

Allen Blog-Lesern wünsche ich jetzt erst mal noch einen schönen Hochsommer, ob daheim oder unterwegs. Erholt Euch gut!