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Lebensräume

„Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen“, heißt es im Psalm 86. Ein Bild für Menschen, die einen Ort gefunden haben, wo sie sein dürfen, wo sie leben können, zu Hause sind.

Aber das ist alles andere als selbstverständlich. Zumal ein solcher Ort ja für jeden einzelnen anders aussieht, bzw. aussehen muss, um sich zu Hause fühlen zu können. In einer riesigen vollen Stadt wie Berlin ist das genauso eine offene Frage wie in der Weite sich entleerender Landstriche etwa Brandenburgs. Nochmal zugespitzt: In Meißen und Freital treffen Menschen aufeinander, denen genau das fehlt: Die einen, weil ihre Heimat irgendwo auf der Welt ein einziges Desaster geworden ist, aus dem man nur fliehen kann, wenn man (über)leben will. Die anderen, weil ihnen die beschauliche Heimat mit der Illusion, alles nach dem eigenen Geschmack kontrollieren zu können, entgleitet. Immer geht ja auch um die Frage: Wo darf ich dazugehören?

Im Leitbild der Berliner Stadtmission heißt es: „Wir geben Menschen Heimat und leben Gemeinschaft.
Wir wollen, dass Menschen sich bei uns zu Hause fühlen und Heimat finden.
Wir freuen uns, wenn Menschen neue Hoffnung schöpfen.
Wir feiern gemeinsam und schaffen Räume, in denen wir Gott begegnen können.“

Von zwei unterschiedlichen Lebensräumen möchte ich heute berichten und dann noch paar Eindrücke von unserem „Fest für die Stadt – das Beste“ am vorletzten Sonntag zeigen.

Erster Lebensraum:Blog Nr 32 - 01

Dorfkirchentag in Wiesenau, südlich von Frankfurt/Oder. Ich bin als Festredner eingeladen worden für eine kurze Predigt im Gottesdienst und anschließend einen Vortrag über die Berliner Stadtmission. Kirche und Kirchhof machen dem Namen „Dorfkirchentag“ alle Ehre. Ein kleiner, wirklich guter Posaunenchor rahmt das ganze musikalisch mit Stücken aus allen Musikepochen. Versammelt haben sich etwa 100 Gemeindeglieder, die meisten davon Ü 60, aber auch einige der mittleren Generation. Nur bei den Bläsern sind auch Jugendliche.

Blog Nr 32 - 02Aber alles vermittelt den Eindruck: Hier ist die Welt noch in Ordnung! Und in der Tat, als Christiane und ich im Anschluss an die Veranstaltung noch die paar Kilometer zum Oderstrand fahren: Solche Stille, solchen Frieden, solch paradiesische Natur mit Feuchtbiotopen und riesigen Eichen – das hat schon was. Da kann man mit der Seele baumeln. Und wieder zurück ins Berliner Getümmel zu fahren, hat nur begrenzten Reiz.

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Allerdings zeigen die Gespräche beim Dorfkirchentag die Schattenseiten: Nicht nur dass ich während meines Vortrags von einem älteren Herrn scharf kritisiert werde, als ich den Namen „Sharehaus“ benutze. Schließlich hätten wir eine deutsche Sprache! Ein anderer erzählt uns Dorfgeschichten von vor 100 Jahren. Den jüngeren Gesprächspartnern, die gerne etwas verändern möchten oder Mitverantwortung für das geplante Flüchtlingsheim in der Nachbarstadt (Eisenhüttenstadt) übernehmen wollen, merkt man z.T. deutlich ihre Frustration über die scheuklappige Rückwärtsgewandtheit an. Und wir fragen uns auf dem Rückweg, ob nicht die Landflucht auch genau darin eine wichtige Ursache hat, dass man das nur begrenzt ertragen kann, wenn alles so bleiben muss, wie es mal war.

Zweiter Lebensraum:

Sharehaus Refugio, unser neues Projekt in Neukölln: WP_20140510_09_10_03_Pro

Nach einem halben Jahr Konzeptentwicklung und  intensiver Planung, Wirtschaftlichkeitsprüfung und aktualisiertem Brandschutz, Neueinstellungen und Nutzungsverträgen in der Geschäftsstelle (unter meiner Koordination) – und „Dornröschen-Schlaf“ in der Lenaustraße ist jetzt mit Projektbeginn zum 1. Juli 2015 das traditionsreiche Haus zu neuem Leben erwacht: Ein Lebensraum mit großer Vitalität und Integrationskraft, Lebensfreude und Dynamik.

„Sharehaus Refugio“, d.h. ein Haus, in dem Menschen Zuflucht finden und vielfältige Gaben miteinander teilen. (Ich berichtete schon kurz von den Vorbereitungen.) Sven Lager, der schon im vorigen Jahr das Sharehaus I. als „Werkstatt für himmlische Gesellschaft“ aufgebaut hat (ich habe auch darüber berichtet), bringt hier mit einem engagierten Team diesen Gedanken auf eine neue Ebene.

Viele junge Menschen ziehen ein, Geflüchtete (mit geklärtem Aufenthalts-Status und unterschiedlichem religiösem Hintergrund) und einheimische Christen, die gemeinschaftliches Leben gestalten wollen. Für die Geflüchteten (zur Zeit aus 6 verschiedenen Ländern) wird es darüber hinaus in Kürze Sprachkurse und weitere Eingliederungsmaßnahmen geben. Bei schönem Wetter wird auf dem Dachgarten gemeinsam zu Abend gegessen. Irgendwer kocht immer (egal ob arabisch oder afrikanisch oder südosteuropäisch oder deutsch) und zwar immer für andere mit, und dann wird geteilt.

sharehaus2_SvenLager_17.06.2015.jpgDachgarten_SvenLager_17062015_01_617b34ab8a Sharehaus_SvenLager_17062015_01_054e676caa Blog Nr 32 - 49

Das Frühere Foyer wird zu einem „Kiez-Café“ mit hochwertigen Kaffees und vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten ausgebaut.Hierfür ist Andy Romeike in Marburg zum Theologen und in Berlin zum Barista („Kaffe-Zauberer“) ausgebildet eingestellt. Im Café können dann auch die Geflüchteten zu Gastgebern werden.

WP_20140510_09_11_42_ProDer Saal wird für Gottesdienste und unterschiedlichste Veranstaltungen genutzt, die zusammen mit dem Café die Brücke zum Stadtteil bilden und einen Teil der Finanzierung einbringen sollen.

In Räumen im 5. Stock, auf dem Dachgarten und teilweise im großen Saal wird unser neues „Stadtkloster“ beheimatet sein: ein Ort zum Beten, Bibellesen, Stille finden, geistliche Gespräche führen – und für Einzelpersonen die Möglichkeit für einige Tage mitzuleben. Die Gottesdienste und weitere geistliche Angebote übernimmt das „Kreuzberg-Projekt“, eine junge Gemeinde, die seit vorigem Herbst zunächst als Mieter in der Lenaustraße war, aber aufgrund der guten Erfahrungen jetzt zu einem festen Kooparationspartner wird.

Weitere kreative Projekte sind in Planung.

Dafür haben wir beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende gefunden, die ein begeistertes und starkes Kernteam bilden. Diese ca. 10 überwiegend jüngeren Leute wollen gemeinsam (geistlich) leben und bringen genau die Gaben mit, die für diese Projektentwicklung nötig sind. Einige von ihnen wohnen mit im Haus. Dazu gehört auch unser ältester Sohn Lukas, der ansonsten hier in Berlin bei einem Startup arbeitet.

Vieles ist zwar noch unfertig. Aber trotzdem hat die Abendschau vom RBB vorigen Mittwoch schon über das Sharehaus Refugio berichtet. Hier findet ihr den Fernsehbeitrag (solange er vom RBB bereitgehalten wird):WP_20150713_12_54_36_Pro

http://www.rbb-online.de/rbbaktuell/archiv/20150709_2145

Wir hoffen, dass sich diese kombinierte Arbeit in zwei Jahren selbst finanzieren kann. Aber bis dahin benötigen wir nicht nur das Engegement der Leute vor Ort, sondern natürlich auch Spenden von außerhalb. Also falls Ihr für dieses Modellprojekt etwas übrig habt… (http://www.berliner-stadtmission.de/wie-sie-helfen/spenden/spenden – bitte mit Stichwort „Refugio“).

So jetzt noch ein paar Eindrücke von unserem Fest für die Stadt  – am bisher heißesten Tag des Jahres:

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Die Stände der Stadtmissionsgemeinden – anschaulich und einladend – und im Hintergrund der blaue Trinkwasserstand der Berliner Wasserwerke (einer unserer Partner): An diesem Tag absolut überlebensnotwendig!

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Nicht David und Goliath, sondern Christian Flöter aus Tegel (gefühlte 2,40 groß), der mein Stadtmissionslied für seine Drehorgel arrangiert hat. Da darf ich natürlich auch mal drehen, und wir singen gemeinsam, wozu die Stabmarionette tanzt.WP_20150705_14_45_37_Pro   Blog Nr 32 - 47

Und noch mehr Musik: Die Rock’n Roll Preachers heizen richtig ein. Und Nasser Kilada (mit so ner Art türkisch-Rock) bringt die Menschen in Bewegung.

Mit dem Blick auf eine sehr lustige Hochzeitslimosine (Trabi-Umbau), an dem wir im Wedding vorbei fuhren (hoffentlich haben die Insassen mit Ihrer Hochzeit auch den Lebensraum gefunden, der für sie genau richtig ist), verabschiede ich mich in den Sommerurlaub. WP_20150704_10_41_44_Pro   WP_20150704_10_41_54_Pro