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„Freunde, dass der Mandelzweig…“

Habt ihr schon mal erlebt, wenn rund 500.000 Menschen gleichzeitig und gemeinsam eine Minute schweigen? Für mich war das der eindrucksvollste Moment an diesem Sonntagnachmittag zwischen Brandenburger Tor und Großem Stern.

Mit so vielen hatten weder die Initiatoren noch die Polizei gerechnet. Und so wurden – als die gesamte Straße des 17. Juni voll war – für all die ernsten und nachdenklichen Menschen immer neue Flächen ausgewiesen: der gesamte Große Stern rund um die Siegessäule und dann füllte sich auch noch der Tiergarten. (Die von den Behörden rausgegebene Zahl von 100.000 Teilnehmern ist ein Witz. So viele waren allein am Großen Stern unter der Siegessäule)

Kein Volksfest! Sondern eine entschlossene Demonstration gegen diesen bösartigen, durch nichts zu rechtfertigenden Krieg. Alle Generationen. Viele Sprachen. Unzählige selbstgemalte, kleine und große Plakate. Und weil wir in Berlin sind, gabs natürlich auch manches Kuriose.

Unter den vielen starken Reden, denen zugehört wurde, ragte für mich die von Luisa Neubauer (Fridays for Future) heraus. Die ist ein rhetorisches Phänomen, dem man sich kaum entziehen kann: emotional und Fakten basiert, aufrüttelnd und ermutigend. Einer ihrer Kernpunkte war natürlich, der Zusammenhang zwischen versäumtem Klimaschutz und Kriegsfinanzierung durch den bedenkenlosen Import von russischem Öl und Gas (obwohl man es besser hätte wissen können). Ich hab sie zum ersten Mal live erlebt und bin beeindruckt. Auch die vorhergehende Rede von der EKG-Ratsvorsitzenden Annette Kurschuss fand ich inhaltlich und sprachlich stark („Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit von der Erde!“ https://youtu.be/f0l_MZD9SmM) . Wobei sie nicht im entferntesten so zündete. Vielleicht auch, weil in Berlin eine Kirchenvertreterin einfach nicht solche Resonanz findet.

Stark war aber in allen Reden, dass sie ausdrücklich zwischen Putin und dem russischen Volk unterschieden. Und davor warnten, sich von Gedanken des Hasses anstecken zu lassen. Immer wieder wurde auch größter Respekt vor den russischen Demonstranten ausgedrückt, die (im Unterschied zu uns) ihr Leben riskieren.

Tragisch finde ich, dass mal wieder Appeasement-Politik die Skrupellosigkeit eines Diktators völlig unterschätzt hat – und sogar seinem Narrativ von einer Nato-Bedrohung auf den Leim gegangen ist. Inzwischen sind alle seine angeblich historischen Behauptungen und Rechtfertigungen eindeutig widerlegt (z.B. in der aktuellen ZEIT: https://www.zeit.de/2022/09/wladimir-putin-russland-westen-geschichte-fernsehansprache?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F ) Aber es wird auch immer deutlicher, wie blind wir waren, und „die Verantwortung vor unserer Geschichte“ dazu geführt hat, die Gegenwart nicht wirklich ernst zu nehmen (vgl. den absolut lesenswerten Tagesspiegel-Artikel von Osteuropa-Historiker Karl Schlögel: https://plus.tagesspiegel.de/politik/osteuropa-historiker-karl-schlogel-putin-will-auch-den-westen-in-die-knie-zwingen-406693.html )

Dieser Überfall auf ein Nachbarland, so viel unsägliches und sinnloses Leid er auch noch bringen wird, wird aber zugleich der Anfang von Putins Ende sein.

Die Solidarität mit den Ukrainern (jetzt endlich, in den letzten 8 Jahren sind in der Ostukraine bereits 14.000 Menschen gestorben!) nicht nur in ganz Europa und das Umsteuern der westlichen Politik macht Hoffnung. Wer hätte noch vor wenigen Wochen die Ukraine in der „Mitte Europas“ angesiedelt?

Ob die Großdemonstration von Sonntag, ob die jetzt wieder angelaufenen vielen Friedensgebete „Erfolg“ haben werden? Ich finde, das darf nicht das Kriterium sein. Es gibt Zeiten, da darf man nicht nach Erfolg fragen, wenn es darum geht, das Richtige zu tun. Und es gibt vieles, was wir tun können, zum Beispiel auch, wenn jetzt wieder viele, viele Menschen, die vor einem menschenverachtenden Krieg fliehen, in unser Land kommen. (Wobei bekanntlich jeder Krieg menschenverachtend ist.)

Erlauben wir es Putin nicht, uns die Hoffnung zu rauben auf ein Miteinander in Frieden und Gerechtigkeit! Lassen wir seinen Hass nicht in unsere Köpfe einziehen!

„Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
bleibe mir ein Fingerzeig, dass das Leben siegt.“

Schalom Ben-Chorin, 1942!

Äthiopien – Reise zwischen Faszination und Irritation III.

In meinem 3. Blog zur Reise durch Äthiopien möchte ich wie versprochen vor allem von den Felsen-Kirchen im Norden und vom religiösen Leben der äthiopisch-orthodoxen  Kirche erzählen.

Wir hatten das Glück, mit „Andy“ (sein äthiopischer Name ist etwas komplizierter) einen persönlichen Guide bei unserer Reise durch den Norden zu haben, der nicht nur zehn Jahre in Deutschland gelebt hat und vorzüglich deutsch spricht, sondern  profunde Kenntnisse der Theologiegeschichte und der religiösen Praxis hat – und zwar nicht nur als Reiseführer, sondern auch aus persönlicher Glaubensüberzeugung. So bekamen wir einen Zugang zu dieser sehr archaischen Form des christlichen Glaubens. Aber dazu später mehr.

Denn zunächst mal begann unsere erste Begegnung mit der äthiopisch-orthodoxen Kirche alles andere als erfreulich. Wir waren zwar schon darauf vorbereitet worden, aber trotzdem erstmal fassungslos, als in Addis Abeba um 4 Uhr nachts! die „Stadtteil-Beschallung“  von einer Kirche in der Nähe losging: Über verzerrende Megaphon-ähnliche Lautsprecher wird ein Singsang übertragen, wie wir ihn noch nie gehört haben. Das erinnert entfernt an den Ruf eines Muezzin, wirkt irgendwie improvisiert, ein bisschen pentatonisch, aber vor allem schief. Und  zwar stundenlang! Einen Tag später in Gondar erleben wir dasselbe nochmal gesteigert. Es ist nämlich Sonntag und dazu noch eins der vielen Marienfeste. Ich schreibe in mein Tagebuch: „Ohropax rein und die akustischen Reste, die immer noch durchdringen, als Form von Meditation zu integrieren suchen.“ Aber an Tiefschlaf ist nicht zu denken. Im Laufe der nächsten Stunden ergänzen etliche weitere Stimmen den Vorsänger zu einer unbeschreiblichen Kakophonie, über die man nur Lachen oder Weinen kann. Zu Beginn des Frühstücks auf dem Dachgarten gegen 7.30 Uhr gesellen sich zwei weitere Kirchen in der Umgebung mit ähnlichen Klängen hinzu. Beim dritten Kaffee um 8.00 Uhr haben alle liturgisch gleichgezogen: Auf eine im Singsang vorgetragene Liturgie folgt eine höchst afrikanisch-engagiert vorgetragene Predigt. Das heißt drei Predigten aus drei Richtungen gleichzeitig.“

Über den Gesang lernen wir später, dass Äthiopien 2018- (700)ausschnittdas keinesfalls irgendwie improvisiert ist, sondern eine Wissenschaft für sich, nach den musikalischen Zeichen des heiligen Yared aus dem 6./7. Jahrhundert die heiligen Texte präzise zu rezitieren. Das ist Aufgabe der Kirchensänger (däbtäras) und erfordert eine jahrelange Ausbildung.

Nach dem Frühstück besuchen wir eine Kirche, in einem historischen Park gelegen.

Blog 57-24

Inzwischen hat – wie wir erfahren – die Eucharistie stattgefunden. Das ist der einzige Teil, zu dem die Gottesdienstteilnehmer in die Rundkirche hinein dürfen, genauer gesagt, in den äußeren Umgang der Kirche („Quene Mahlet“ genannt), Männer und Frauen natürlich durch zwei verschiedene Türen. In das Zentrum der typischen Rundkirche (siehe auch Titelbild) dürfen nur die Priester eintreten. Dort im Allerheiligsten („Queddus Qeddusan“) steht grundsätzlich eine Nachbildung der Bundeslade einschließlich Gesetztestafeln . – Ihr erinnert euch vielleicht an den Geschichtsüberblick  in meinem ersten Äthiopien-Blog, dass der erste König Melenik I. nach seinem „Praktikum“ bei König Salomo in Jerusalem die Bundeslade entwendet mit nach Äthiopien genommen hat. Nicht nur deshalb spielt die Verbindung zu Israel und Jerusalem eine ganz enorme Rolle in der äthiopischen Kirche. Sie hat übrigens mit den uns bekannten byzantinisch-orthodoxen (also osteuropäischen) Kirchen kaum etwas gemeinsam, sondern gehört mit den Kopten  (naher Osten) und Nestorinanern (Indien) zu den (orientalischen) Kirchen, die den Mehrheitsweg bei den altkirchlichen Konzilien im 3. und 4. Jahrhundert nicht mitgegangen sind und entsprechend ausgeschlossen wurden. (Es ging damals um die Frage, wie göttliche und menschliche „Natur“ in Jesus Christus miteinander verbunden sind. Ich erspar euch hier die Einzelheiten, die uns Andy aber wie gesagt mit enormer theologischer Kenntnis präzise referierte.)

Typisch für die äthiopisch-orthodoxe Kirche ist auch, wie wichtig ihnen die Trinität, also die göttliche Dreieinigkeit ist. Hier eine Ikone, die man in dieser Art ganz häufig findet: Drei alte Männer! Hä? – Die Bedeutung ist folgende: Damit soll dargestellt werden, dass Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist gleich alt sind, also gleich ursprünglich. Wenn ihr das Bild anklickt und vergößert, seht ihr, dass alle drei ein Straußenei in der Hand haben. Das hat folgende Bewandtnis: Strauße brüten ihre Eier nicht aus, indem sie sich draufsetzten, sondern lassen das die Sonne machen. Aber die Straußeneltern halten sich immer in Sichtweite auf und bewachen das Ei – zwar aus dem Abstand, aber sehr aufmerksam. So achtet Gott aus dem Abstand auf jeden einzelnen Menschen und bewacht ihn.

Nachgebildete Straußeneier findet man auch auf dem Dach der Kirchen, und zwar 7 an der Zahl als Symbol für die 3 himmlischen und 4 irdischen Wunder beim Tod Jesu .

Inzwischen geht der Gottesdienst draußen erkennbar fröhlich weiter, mit Gesängen, die sich fast wie Lieder anhören, Gebeten und – wie es scheint – nochmal Kurzansprachen des Priesters. Zum fröhlichen Erscheinungsbild gehört jedenfalls auch, dass sich Frauen wie Männer zum Gottesdienstbesuch in weiße Tücher hüllen. Das verändert dann auch an den Sonn- und vielen Feiertagen das Straßenbild deutlich.

Die Zahlen zur Religionszugehörigkeit differieren erheblich. http://www.aethiopien.de macht folgende Angaben: „Äthiopier sind überwiegend tief gläubig. Fast 90 Prozent gehören verschiedenen Glaubensgemeinschaften an. Die Religionszugehörigkeit ist so unterschiedlich wie die ethnische Zusammensetzung. Die beiden großen Glaubensgemeinschaften bilden äthiopisch-orthodoxe Christen (43 %Blog 57-26) sowie sunnitische (34 %) Muslime. Daneben gibt es verschiedene äthiopisch-evangelische Christen (immerhin ca. 10%), Katholiken, Anhänger von Naturreligionen sowie Juden.“ Traditionell haben die drei abrahamitischen Religionen in Äthiopien ein sehr gutes und friedliches Verhältnis zueinander.  Wie ich an anderer Stelle hörte, wird diese friedliche Balance leider seit einigen Jahren durch viel Geld aus Saudi Arabien gefährdet …

Aber zurück zu den äthiopisch-orthodoxen Christen:

Die Priester sind hoch angesehen, denn sie tragen die Verantwortung für die Seelen der Gläubigen, wie Andy uns erklärt. Jeder Gläubige sollte einen „Seelenvater“ haben, dem er seine Sünden bekennt und der ihm Bußübungen auferlegt, um ihn (oder sie) wieder auf den rechten Blog 57-31Weg zu führen. Wir beobachten, wie Priester im Umfeld von Kirchen herumgehen, Menschen segnen und sie ihr Kreuz küssen lassen. An anderer Stelle sehen wir aber auch, wie ein Priester am Rand einer Baustelle eine alte, gebrechliche Frau an die Hand nimmt und sie über einen engen und sehr unsicheren („Bürger“-)Steig geleitet.

Insgesamt ist der äthiopisch-orthodoxe Glaube aber sehr stark von der Einhaltung vieler unterschiedlicher Regeln bestimmt, die den ganzen Alltag durchziehen. Für einen Protestanten wie mich ist das doch sehr fremd, um nicht zu sagen fragwürdig, dass dort sehr klar ist: Deine Chancen auf den Himmel hängen komplett davon ab, wie weit du die Vorschriften einhältst (Fasten, Feiertage, Bußübungen, Gebete, Heiligenverehrung usw.). Irgendwann hab ich natürlich dann auch mal vorsichtig erzählt, dass wir das ein wenig anders sehen. Dass wir glauben, Jesus hat alles Nötige getan, damit wir in der Beziehung zu Gott einfach ihm vertrauen dürfen, uns nicht mehr Sorgen machen müssen, ob das mit Gott wohl klappt. Und deshalb alle Kraft hineinstecken können, die Welt etwas mehr in seinem Sinne zu gestalten. – Er erzählte dann aber auch – was mich wiederum positiv überraschte -, dass es durchaus üblich ist, eine eigene Bibel zu haben und darin zu lesen. Wir hatten jedenfalls den Eindruck, dass Andy sich nach seiner Rückkehr aus Deutschland sehr bewusst wieder auf die Religiosität seiner Heimat, also seines Kontextes eingelassen hat. Und das – finde ich – verdient Respekt.

Wenn jemand privat oder als Gruppe nach Äthiopien reisen will und dabei wirklich fundiert das kirchliche Leben kennenlernen möchte, dann können wir euch „Andy“ nur aufs Allerwärmste empfehlen (und auf Anfrage den Kontakt herstellen).

Jetzt hab ich schon soviel von diesem wunderbaren Guide erzählt. Nun endlich auch ein Foto, aufgenommen in der berühmten Stadt der Felsenkirchen: Lalibela.

Und damit kommen wir auch endlich zu diesen berühmten und einzigartigen Baudenkmälern aus dem 12.  und 13. Jahrhundert, dem Höhepunkt einer langen Tradition des Felsenkirchenbaus.

Lalibela, zweitälteste Königsstadt als Sitz der Zagwe-Dynastie (914-1268) liegt in etwa 2500 m Höhe auf einer Bergschulter des 4260 m  hohen Abuna Yosef. Es bekam eine zweite, nämlich religiös-symbolische Bedeutung, als nach dem Ende des „christlichen“ Kreuzfahrer-Königreichs Jerusalem 1187 der Sultan dort wieder die Oberherrschaft innehatte und die Reisewege nach Jerusalem blockierte. Für äthiopisch-orthodoxe Christen war (und ist) aber die Pilgerreise nach Jerusalem einmal im Leben in etwa das, was der Hadsch (Reise nach Mekka) für Muslime bedeutet.  Deshalb ließ König Lalibela (1167-1207) seinen Regierungssitz als symbolisches Jerusalem und somit heiligste Stadt in Äthiopien ausbauen. (Ihm zu Ehren wurde die Stadt umbenannt, und er selbst zu einem äthiopischen Heiligen.)

In der Stadt wurden außer den Felsenkirchen symbolisch heilige Orte aus Israel wiedererrichtet: Das Jordantal als ein tiefer Graben zwischen zwei Kirchen, der Berg der Verklärung und der Tabor in Form von zwei steilen Hügeln und sogar drei leere Grabstellen im Boden der größten Felsenkirche (Kirche des Erlösers)  als die Gräber von Abraham, Isaak und Jakob. Auch den schmalen Weg ins Himmelreich findet man hier (wo man rechts ins Wasser und links ins Feuer abstürzen kann) sowie das berühmte Nadelöhr, durch das kein Reicher hindurch passt.

       

Wie auch an anderen Pilgerorten der Welt mischt sich viel schlichte Volksreligiosität darunter, sodass wir uns schon immer wieder fragen, ob das wirklich die gleiche Religion ist wie die unsrige. (Wobei: Wenn man am Wallfahrtsort „Maria im Walde“ im östereichischen Stubeital die spanischen Pilger beobachtet, kommt einem die gleiche Frage.)

In Äthiopien spielt z.B. (ähnlich wie in muslimischer Volksfrömmigkeit) die Angst vor dem Bösen Blick eine große Rolle. Deshalb werden böse Menschen auf Gemälden immer nur im Profil dargestellt, wie hier der Pharao, der mit seinem Heer im Schilfmeer untergeht. Im Profil sieht man ja nur ein Auge; und dann „funktionert“ der böse Blick nicht.

Dass es sich doch um die gleiche Religion handelt, zeigen aber die vielen biblischen Geschichten, die bildlich dargestellt werden, wie hier im Kloster „Ura Kidanemihret“ auf einer Halbinsel im Tanasee (Andy hat uns dort einer fröhlichen Bibelkundeprüfung unterzogen):

Die Felsenkirchen selbst sind architektonische Wunderwerke, weil sie nicht etwa in Höhlen gebaut worden sind, sondern komplett aus massivem Sandstein herausgekratzt und -gestemmt wurden:

Zunächst ein 10 – 12 Meter tiefer rechteckiger Graben, sodass ein Steinklotz in der Mitte übrig bleibt. Und dann in diesen Quader hinein Türen gehauen und Stück für Stück der Innenraum, die Fenster, ja sogar die Verzierungen herausgemeißelt und den Schutt hinausgetragen. (Das gelang deshalb in erstaunlich kurzer Zeit, weil nachts – wie die Heinzelmännchen von Köln – Engel kamen und bei der Arbeit halfen.)

      

Aber dann erst mal die Raumwirkung, wenn man sich hineinbegibt! Besser als in dem lesenswerten Reiseführer zu Äthiopien (aus dem Reise-Know-How-Verlag, S. 170) kann ich’s auch nicht formulieren: „Wir können zwar die Kirchen aufzählen, beschreiben aber lässt sich der unglaubliche Eindruck kaum, den dieses Labyrinth aus Stein und Höhlen, Licht, Schatten, unförmigen Gängen und wunderbar klaren Formen hinterlässt, dazu noch mittelalterlich anmutende Priester, die ihre Kreuze präsentieren, verhutzelte Mönche und neugierige Kinder. Lalibela muss man gesehen und erlebt haben.“

Blog 57-11

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

    

Mit dieser faszinierenden Sicht auf die als letzte gebaute Kirche „Bete Gyorgis“ (zu Ehren des Heiligen Georg, der sich im Traum bei König Lalibela beschwert hatte, das ihm noch keine Kirche errichtet worden sei), will ich den dritten Teil meines Reiseberichtes beenden. Ihr ahnt wahrscheinlich, dass ich noch viele Legenden erzählen, Eindrücke schildern und Hintergründe darstellen könnte. Aber Ihr müsst das ja auch alles lesen… 😉

Auf jeden Fall muss ich euch noch von der Afra Amba Community berichten. Aber das folgt dann irgendwann in den nächsten Wochen im IV. Teil.

Äthiopien – Reise zwischen Faszination und Irritation I.

Viel ist geschehen seit meinem letzten Blog. So viel, dass ich mal wieder monatelang nicht zum Schreiben gekommen bin. Einen aktuellen Bericht über mein Arbeitsfeld bei der Berliner Stadtmission habe ich überschrieben mit „Jahr der Innovationen“. Und bevor ich von unserer Äthiopienreise berichte, möchte ich stichtwortartig die neuen Projekte und sonstigen Innovationen aufzählen, die seit letzem Sommer allein im Bereich Mission auf den Weg gebracht worden sind:

  1. Gründung der Iranischen Gemeinde

    2017-09-09 16.18.36

    Überreichung der Gründungsurkunde durch Stadtmissionsdirektor J.Lenz

    am 9.9.2017 (mit inzwischen bis zu 70 Teilnehmenden, davon in den letzten drei Jahren fast 30 ehemalige Muslime getauft.)

  2. Missionarische Bildungsarbeit mit benachteiligten Kids im Gesundbrunnenkiez (Gemeinde Wedding, Stettinerstraße) mit der Theologin und Tanz- und Theaterpädagogin Rebecca Aßmann. Gleichzeitig Wiederaufnahme einer überregionalen Netzwerkarbeit „Winterspielplatz“ (eine geschützte Wortmarke der Berliener Stadtmission).
  3. Einführung der neuen Gemeindeordnung zum 1.1.2018 (zur Erprobung) mit 5 verschiedenen Gemeindeformen und gestufter Zugehörigkeit.
  4. Umwandlung der Gemeinde Wilmersdorf zu einer „Einrichtungsgemeinde“ der Citystation zum 1.1.2018, d.h. die geistliche Arbeit ist integraler Bestandteil der Einrichtung. An einer gesamten Neukonzeption des Standortes wird weiterhin fachbereichsübergreifend gearbeitet.
  5. Friedrichshagen: Kauf des angrenzenden Grundstücks. Erste Konzeptionsüberlegungen für einen Neubau: Geistliches Zentrum für Einkehrtage u.ä. und neue Wohneinheiten für Eingliederungshilfe.
  6. Umwandlung des Studentenwohnheims in der Lehrterstr. in „Junges Wohnen“ für Studierende und Azubis als Wohngemeinschaft mit gemeinsamem geistlichen Leben, durch Mentoren begleitet. IMG_20180608_162714_resized_20180623_013423126(In Verbindung damit: Das von Simon Klaas selbst gebaute Tinyhouse „Tabernakle“ im Innenhof als Communityprojekt und Gestaltungsraum, zusammen mit „water 2 wine“)
  7. zeit.laden: Lichtenberg (Friedrichsfelde, Sewanstraße), Anmietung eines Ladenlokals für familienorientierte Nachbarschaftsarbeit (im Vorfeld des Familienzentrums in der Archenholdstraße) zum 1.1.2018. Konzeptionsentwicklung einer offenen Lebensberatungsstelle. Kombination beider Projekte an dem einem Standort als „zeit.laden“. Eröffnung am 17.5.2018 mit hochrangigen Vertretern aus dem Bezirk. Die Leitung hat Stadtmissionar Pfr. Ole Jaeckel-Engler, ausgebildeter Psychotherapeut und Supervisor.
  8. „Geistliche Präsenz in der Heidestraße“: Gemeinsame Planungen mit der Ev. Gemeinde Tiergarten, um im Neubaugebiet nördlich des Hauptbahnhofes (mit 3800 neuen Wohnungen) früh einen „Fuß in die Tür“ zu bekommen für ein Projekt zur Communityentwicklung, Einsamkeitsüberwindung und geistlichen Angeboten.
  9. Wohnungslosenseelsorge: Nach jahrelangem Suchen haben wir mit Helga Stamm-Berg endlich eine geeignete Person für diese Aufgabe in verschiedenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gefunden, die ihre Arbeit sehr strukturiert und engagiert angeht.
  10. 140 Jahre Gemeinde Frankfurter Allee (Friedrichshain). Das klingt nur nach Jubiläum und nicht nach Innovation. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich die Gemeinde für Nachbarschaft und Kiez interessiert und geöffnet in einer Art und Weise, die zu rasanter Neubelebung und missionarischer Entwicklung geführt hat. Wir sind gerade dabei, finanziert durch unsere Innovationsbudget zusätzliches Personal einzustellen, um die wachsende Gemeinwesenarbeit besonders mit Kindern bzw. Familien  überhaupt stemmen zu können.
  11. Refugio: Das Refugio (gemeinsames Wohnen von Geflüchteten und Einheimischen u.v.m.) ist offiziell zum 1.6.2018 vom Bereich Mission in den Bereich Diakonie gewechselt (was Budget, Personalverantwortung und strategische Entwicklung angeht). Weitere Fachkompetenz aus dem Bereich Begegnung engagiert sich in der Weiterentwicklung von Café und Tagungsbereich. Ich bleibe beratend insbesondere für die geistliche Entwicklung und Kooperation mit dem Kreuzbergprojekt beteiligt (aber eben ab jetzt ohne den Hut aufzuhaben). Das ist eine wirkliche Erleichterung für mich, nachdem ich in den zurückliegenden drei Jahren sehr viel Zeit und Kraft dort hineingesteckt habe. Wir hoffen, dass die breite Fachkompetenz das Refugio als einen Leuchtturm der Stadtmission nochmal wirklich voranbringt.

So, aber jetzt ab nach Äthiopien. Wobei auch diese Reise einen Stadtmissions-Hintergrund hat. Denn eingeladen wurden wir vom derzeitigen Gesandten (also stellvertretenden Botschafter) der Bundesrepublik in Addis Abeba, Matthias Schauer und seiner Frau Katharina, die vorher ehrenamtlich bei der Stadtmission im Trägerkreis der „Frühschicht“ engagiert waren (dem Gesprächsfrühstück für Ministerialbeamte und Menschen aus ähnlichen Arbeitsfeldern).

In einem faszinierenden Land mit sehr freundlichen und zugleich stolzen Menschen sind wir da gelandet. Im einzigen afrikanische Land, das nie kolonialisiert worden ist (abgesehen von einigen Jahren italienischer Besetzung während des 2. Weltkrieges). Ein Land, das die Wurzeln seines König- bzw. Kaisertums auf Menelik I. zurückführt, der Überlieferung nach dem gemeinsamen Sohn von König Salomo und der Königin von Saba. Ein Land mit großer Geschichte und schwieriger Gegenwart unter der sozialistischen Regierung mit Planwirtschaft. Ein Land in dem Steinzeit (bei den indigenen Volksgruppen im Süden, wo wir nicht waren), Mittelalter (in der Landwirtschaft) und Generation Smartphone gleichzeitig nebeneinander existieren; in dem als Transportmittel wahlweise Lastenträger, Esel oder Kamele, Tuktuks, Minibusse, LKWs oder modernste Propellerflugzeuge in Frage kommen (je nach Budget).

Aber eins nach dem anderen und alles mit Bildern:

Der Überlieferung nach hat Makeda, die Königin von Saba, ihren Sohn Menelik als jungen Erwachsenen für drei Jahre zum royalen Praktikum nach Jerusalem geschickt, von wo er dem Befehl eines Engels folgend und unter dessen Schutz die Bundeslade aus dem Tempel stibitzt und nach Äthiopien überführt hat. Blog 55-29

Daraufhin musste Salomo in Jerusalem leider eine Kopie anfertigen und aufstellen lassen. (Jede orthodoxe Kirche in Äthiopien hat übrigens auch eine Modell der Bundeslade. Ohne Lade keine Kirchweihe.)

Blog 55-13Nach verschiedenen Stationen steht die angebliche originale heute in Axum in  diesem im 1965 zwischen alter und neuer Kathedrale errichteten Gebäude mit der grünen Kuppel, dem höchsten Heiligtum der äthiopisch -orthodoxen Kirche. Diese Kirche, zu der heute 60% der Äthiopier gehören, hat von jeher eine ganz enge Beziehung zum Judentum wie wohl keine andere christliche Denomination.

Axum (in der nördlichsten Provinz Tigray) wurde im 1. Jahrhundert n.Chr. zu einer bedeutenden Stadt und wohl bald auch zur Hauptstadt Äthiopiens. Die berühmten Stelen, Teile von Grabmälern, stammen aus dieser Zeit und sind über 20 m hoch.

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Im 17. und 18. Jahrhundert trat dann Gondar als Königsstadt in den Vordergrund. Heute besichtigt man dort die Ruinen einer beeindruckenden weitläufigen Schlossanlage. Der Legende nach hatte sich Kaiser Fasilidas in den Bergen verirrt, als aus einem Teich ein alter Mann aufstieg und ihn anwies, genau hier ein Schloss zu bauen. Später bekam er auch noch die Anweisung, viele Kirchen zu bauen – und zwar als Strafe für die vielen Konkubinen, die er hatte.

Hier einige Eindrücke der phantastischen Bauwerke aus dieser Zeit:

Fast der gesamte Norden Äthiopiens von Addis Abeba bis zur eritreischen Grenze ist Hochland zwischen 1800 m (Tanasee) und 4500 m (Semien Mountains). Und davon wiederum ist ein großer Teil landwirtschaftliche Nutzfläche. 80% der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die aber je nach Berechnung nur 30 – 50% der Wirstchaftsleitung erbringt. Kein Wunder. Denn das meiste ist Subsistenzwirtschaft, d.h. zur Selbstversorgung oder zum Verkauf auf dem Markt im nächstgrößeren Dorf. Das sieht dann so aus:

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Am Tekezefluss im Norden und am Blauen Nil gibt es auch bewässerte Landwirtschaft, die natürlich ganz andere Erträge generieren kann.

Noch gibt es in der Regenzeit reichlich Niederschläge. Aber die Trockenzeit ist viel heißer als früher, sodass die Wasservorräte längst nicht mehr so lange halten, wie vor Beginn des Klimawandels.

Ein echtes Erlebnis ist in jedem Fall der Verkehr. Nicht so sehr durch Hektik (das ist anderswo erheblich schlimmer), sondern durch die verrückte Mischung. Da trifft auch in der Großstadt einfach alles aufeinander – siehe Titelbild (abgesehen von Flugzeugen, modernen Bombardier-Propellermaschinen, die im Inland kleine feine Flughäfen verbinden). Hier einfach eine Serie von Fotos zu diesem Thema:

Blog 55-32An den Flughäfen haben wir dann auch die modernsten Äthiopier(innen) getroffen, wie z.B. diese junge Frau, die zwischen der touristischen Dienstleistung einer traditionellen Kaffee-Zeremonie intensiv mit ihrem Smartphone beschäftigt war.

So  bunt und verrückt wie der Verkehr sind auch die Märkte, unglaublich eng und wuselig und trotzdem „thematisch“ gut sortiert. Und das schöne: Wir konnten da als Weiße ganz entspannt durch schlendern. Natürlich wurden wir häufig angesprochen, um uns etwas zu verkaufen. Aber wenn wir deutlich und klar abgelehnt haben, war es auch gut.

Auffällig ist übrigens auch, wie schnell die Äthiopier gehen, jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir in Südafrika so erlebt haben. Aber vielleicht liegt das auch an dem angenehmen Klima des Hochlandes.

Immer wieder haben wir große Freundlichkeit erlebt. Schulkinder, denen wir begegneten, riefen uns zu: „Welcome in Ethiopia. What`s your Name?“ – „My name is Gerold“ – „How do you like Ethiopia?“ Und dann streckte mindestens eins von ihnen die Hand aus, um mit dem freundlichen Weißen abzuklatschen. Ähnliches hab ich auch mit Erwachsenen bei einem Spaziergang durch eine ziemlich ärmliche Wellblech-Siedlung (immerhin mit Elektrizität und Satelitenschüsseln) in Addis erlebt.

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In der nächsten Folge werde ich demnächst über eine faszinierende nicht-religiöse Kommunität und beeindruckende Hilfsorganisationen in Äthiopien berichten.

Die Entdeckungsreise geht weiter…

… wirklich! –  aber inzwischen deutlich langsamer als in den ersten Monaten. Inzwischen sind wir in unserer Wohnung heimisch. Die Wege zur Arbeit sind vertraut. Auch viele andere Strecken sind zum Standard geworden. Orte, die vor ein paar Monaten noch etwas besonderes waren, werden selbstverständlich. Und: Die Arbeit wird umfangreicher; die Gedanken befassen sich auch unterwegs häufig damit. Dazu kommen bei mir vermehrt Dienstreisen. Das heißt, die Zeiten, in denen ich, in denen wir einfach so auf Entdeckertour sind, werden seltener.

Dabei hat die Neugier keineswegs abgenommen. Denn sobald ein wenig Luft ist, entdecken wir Neues, das wir noch nicht kennen, und stoßen auf „Denkwürdigkeiten“.

Das Titelbild ist einfach wenige 100 Meter von unserem Haus an einem kleinen Wassergraben aufgenommen. Abgesehen von der Schönheit des aufbrechenden Frühlings nicht weiter denkwürdig ;-), außer dass es einen anregen könnte, über die Kraft des Lebens nachzudenken, was ich aber jetzt nicht tun will.

Statt dessen möchte ich heute von zwei Entdeckungsräumen aus den letzten Wochen erzählen.

Zunächst einmal ging’s in den Südwesten von Berlin. Es interessant, wenn einem die Stadtteilnamen schon lange irgendwie schon etwas sagen – und man dann konkret dort hinfährt und mit offenen Augen durch die Straßen läuft. Vor ein paar Wochen also Dahlem und Steglitz.

Dahlem ist in mancherlei Hinsicht ein sehr traditionsreiches und denkwürdiges Pflaster. WP_20150216_13_56_04_Pro

Das fängt schon mit dem U-Bahnhof „Dahlem-Dorf“ an, der 1913 eröffnet wurde und auch wirklich nach Dorf aussieht. Laut Wikipedia wurde er 1987 in Japan zum schönsten U-Bahnhof Europas gekürt.

WP_20150216_14_18_49_ProDas gegenüberliegende ehemalige Rittergut ist heute mit Agrarhistorischem Freilichtmuseum versehen.

Bisher war mir  „Dahlem“ aber vor allem ein Begriff durch den Bekenntnispfarrer Martin Niemöller, unter dessen Leitung 1931 bis zu seiner Inhaftierung 1937 die Evangelische Kirchengemeinde hier zu einem Zentrum der Bekennenden Kirche wurde, die sich gegen die Gleichschaltung durch die Nazis, bzw. gegen die Vorscherrschaft der sog. „Deutschen Christen“ zu Wehr setzte. Das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem alleinigen Wort Gottes, dem wir zu vertrauen und gehorchen haben, war der Anker, um nicht in den ideologischen Sog hineingerissen zu werden.

Und wahrhaftig – auf dem Friedhof neben der ev. St. Annen-Kirche WP_20150216_14_16_04_Profinden wir den Grabstein von Helmut Gollwitzer und seiner Frau. Und gleich rechts daneben das Grab des evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Marquardt, der sich nach dem 2. Weltkrieg zentral dafür einsetzte, die Stimmen der Opfer zu hören, insbesondere das Judentum endlich auf Augenhöhe wahr- und ernstzunehmen. So wurde er zu einem wichtigen evangelischen Gesprächs-Partner im jüdisch-christlichen Dialog und brückenbauendem Talmutgelehrten.

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Auf der Rückseite der Kirche entdecken wir folgendes Grab:

WP_20150216_14_13_45_ProDr. phil. Rudi Dutschke + 24.12.1979 in Aarhus. Wieder mal müssen wir feststellen, dass unsere zeitgeschichtlichen Kenntnisse nicht besonders präzise sind: War das nicht der 68er-Studentenanführer, der bei einem Attentat ums Leben kam?

Bei der anschließendenen Internet-Recherche erfahre ich, dass Rudi Dutschke nach dem Attentat und einer langen, mühsamen Zeit der Rekonvaleszenz schließlich noch promovierte und in Dänemark einen Lehrauftrag erhielt. Zu seinem Tod: „Rudi Dutschkes Tod war tragisch: Er ertrank am 24. Dezember 1979 in Aarhus nach einem epileptischen Anfall in seiner Badewanne. Der Anfall war eine Spätfolge des Attentats.“  (Planet Wissen)

Apropos Lehrauftrag: Etwa 10 Minuten zu Fuß von „Dahlem Dorf“ gelangt man auf den riesigen Campus der Freien Universität Berlin (FU), der nach dem Krieg gegründeten Westberliner Uni.

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Die Berliner Schnauze hat schon längst aus dieser interessanten, zwischen 1967 und 1978 entstandenen Architektur die „Rostlaube“ und die „Silberlaube“ gemacht.

Weiter geht unser Tripp durch den Südwesten nach Berlin Lichterfelde (nicht zu verwechseln mit Lichtenberg oder Lichtenau oder Lichtenrade), das wir bisher nur als weit entfernte Station „unserer“ Waidmannnsluster S 1 kannten.

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Ob wir hier wohl die Miete einer der unseren vergleichbaren Wohnung hätten finanzieren können?

Dritte Station auf unserem „Tagesausflug“ ist Steglitz. Hier fühlt man sich dann auch eher wieder in Berlin mit großstädtischer Bebauung wie dem Rathaus und dem sogenannten Bierpinsel:

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Eine Denkwürdigkeit ist hier die Spiegelwand an der Stelle einer ehemaligen Synagoge, wo jetzt namentlich an die deportierten Berliner Juden erinnert wird.

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Auch wenn man in Bezug auf die vielen Stellen der Welt und nun auch wieder in Europa den Eindruck hat, dass die Menschen einfach nicht aus der Geschichte lernen (wollen), so wird doch gerade dadurch unsere Aufgabe nicht geringer, sondern noch wichtiger: Sich und anderen unermüdlich bewusst zu machen, wie das Schüren von Vorurteilen, Hass und Gewalt unweigerlich in den Abgrund führt und aus Menschen Unmenschen macht, wenn sie anderen das Lebensrecht absprechen oder einfach nehmen. Und was für ein Segen es ist, über Jahrzehnte in einem Frieden zu leben, der in der Lage ist, mindestens ein gewisses Spektrum von Verschiedenheiten nicht nur zu ertragen, sondern dadurch zu gewinnen.

Wie gut, wenn wir durch Gedenkstätten und ähnliches immer wieder darauf gestoßen werden.

So auch am ehemaligen Mauerstreifen, dem zweiten denkwürdigen Entdeckungsraum, von dem ich berichten möchte.

WP_20150308_17_16_21_ProWP_20150308_17_00_13_ProDiesmal bin ich allein unterwegs: mit dem Fahrrad direkt von Zuhause entlang des nördlichsten Mauerstreifens, also rund um Frohnau und Hermsdorf. Wie absurd das Ganze war, merkt man, wenn man heute dem scheinbar willkürlichen Zickzack des Mauerweges folgt. Und wie Menschenverachtend, wenn man dann an die Mahnmale für Maueropfer kommt. Lauter junge Menschen (etwa im Alter unserer beiden größeren Kinder), die in einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung das Unmögliche riskierten, weil sie die dumpfe Perspektivlosigkeit nicht mehr aushielten. Der sogenannte „antiimperialistischer Schutzwall“ wurde für sie zum Grab. Eine weitere – spätestens aus heutiger Sicht zynische Formulierung lerne ich beim Mittagessen in der Kantine von Sven Geisthardt, dem Leiter unserer Liegenschaftsabteilung und gebürtigem Pankower. Er hatte als Jugendlicher die erlaubte Reisefreiheit sogar bis nach Bulgarien genutzt, die Reisefreiheit „im Schutz der sozialistischen Staatengemeinschaft“.  (Ich frage mich natürlich, ob wir heute anderen Formulierungen, die dem aktuellen Mainstream oder der politischen Großwetterlage entsprechen, auch kritisch genug gegenüberstehen und hohle Wortblasen durchschauen.)

WP_20150308_17_03_09_ProZurück in den äußersten Norden Berlins: In einem ehemaligen Wachturm hat sich inzwischen der Bund der deutschen Waldjugend eingenistet. Und insgesamt ist der Mauerweg bei Frohnau heute ein friedliches Naherholungsgebiet, das zum Wandern, Joggen, Radfahren und Reiten einlädt und durch idyllische Sanddünen und Kiefernwälder führt.

Ich denke, wie viel Geschichtsvergessenheit breiter Teile unserer Bevölkerung zu einer gefährlichen Undankbarkeit führt, die keine Ahnung hat, welche Friedenskompetenz uns unsere Schreckensgeschichte eigentlich verliehen hat.

Ich jedenfalls freue mich über jede Denkwürdigkeit, auf die ich bei unseren Entdeckungsreisen stoße.

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