Mit einem tollen Fest haben wir gestern das Sharehaus Refugio der Berliner Stadtmission in Neukölln eingeweiht.
Hausteam und Bewohner unter Leitung von Sven Lager hatten sich in den letzten zwei Wochen nochmal so richtig ins Zeug gelegt. Die Treppenhäuser wurden entrümpelt, das Refugio-Logo angebracht und auch das in Eigenleistung gezimmerte Refugio-Café ist fertig geworden.
Da ging es schon eine Stunde vor dem Gottesdienst hoch her. Mit gestifteten Kuchen und kunstvoll gefertigten Heißgetränken (Andy Romeike, unser Café-Chef, ist immerhin gelernter Barrista).
Zusammen mit dem Kreuzbergprojekt einer jungen FEG-Gemeindegründung, die seit einem Jahr das Haus nutzt und mit dem wir jetzt kooperieren, wurde der Gottesdienst eine sehr lebendige Angelegenheit. Da reichten die Plätze im Kirchensaal bei weitem nicht. Und parallel dazu war das Café die ganze Zeit auch noch ausgelastet.
Meine schöne Aufgabe war die Eröffnungspredigt, die ich Euch hier vollständig einfüge, verknüpft mit Fotos vom Eröffnungstag. So bekommt Ihr nicht nur einen Eindruck von dem tollen Fest, sondern auch von der „Denke“, die uns dabei bewegt.
Predigt im Einweihungsgottesdienst des Sharehaus Refugio 20.9.2015
Liebe Refugioeröffnungsgemeinde,
d.h. liebe Bewohner – einheimische und geflüchtete. Liebe Mitarbeitende – berufliche und ehrenamtliche. Liebe Stadtmissionsleute und Kreuzbergprojektler. Liebe Freunde, Unterstützer und Nachbarn, Neuköllner, Kreuzberger und sonstige Berliner.
Allein diese Aufzählung zeigt schon, dass wir heute ein ganz besonderes Projekt feierlich eröffnen. Ein Projekt, das für alle Beteiligten etwas ganz Neues ist. Ein Projekt in dem wir versuchen, auf ganz viele spannende Herausforderungen unserer Zeit zu antworten. Nicht als Besserwisser, sondern als Menschen, die etwas wagen, sich Ziele setzen und gemeinsam Wege finden wollen. Die meisten von uns im Vertrauen auf den lebendigen Gott. Denn der ist brennend daran interessiert, dass es Versöhnung gibt und nicht Hass, Frieden und nicht Krieg, Vertrauen und nicht Misstrauen, Gastfreundschaft und nicht Vertreibung, Heilung und nicht Verletzung. Wie sehr er daran interessiert ist, hat er in Jesus von Nazareth gezeigt, der mit seinem Leben genau dafür eingetreten ist und seinen Kopf hingehalten hat.
Als Sven Lager im vorigen Jahr in Kreuzberg das erste Sharehaus bei der Berliner Stadtmission als Versuchsballon startete, gab er ihm irgendwann den Untertitel: „Werkstatt für himmlische Gesellschaft.“ Und diesen Titel wollen wir uns jetzt im Refugio erst recht auf die Fahnen schreiben. „Werkstatt für himmlische Gesellschaft.“ Aber was soll man sich darunter vorstellen? Wie sich die Bibel solch eine himmlische Gesellschaft vorstellt, können wir im letzten Buch der Bibel lesen. Und vielleicht schon beim Zuhören oder Mitlesen ahnen, wieviel das mit unserem Leben hier und jetzt zu tun hat.
Offenbarung 21
1 Danach sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen; auch das Meer gab es nicht mehr. 2 Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat. 3 Und vom Thron her hörte ich eine mächtige Stimme rufen: »Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen; sie werden sein Volk sein – ein Volk aus vielen Völkern, und er selbst, ihr Gott, wird immer bei ihnen sein. 4 Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. Denn was früher war, ist vergangen.« (…)
22 Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Der Herr selbst, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm. 23 Auch sind weder Sonne noch Mond nötig, um der Stadt Licht zu geben. Sie wird von der Herrlichkeit Gottes erhellt; das Licht, das ihr leuchtet, ist das Lamm. 24 Die Völker werden in dem Licht leben, das von der Stadt ausgeht, und von überall auf der Erde werden die Könige kommen und ihren Reichtum in die Stadt bringen. 25 Die Tore der Stadt werden den ganzen Tag geöffnet sein; mehr noch: Weil es dort keine Nacht gibt, werden sie überhaupt nie geschlossen. 26 Die herrlichsten Schätze und Kostbarkeiten der Völker werden in die Stadt gebracht. 27 Aber etwas Unreines wird dort niemals Einlass finden. (Neue Genfer Übersetzung)
Eine Werkstatt für himmlische Gesellschaft sollte ja wohl wahrscheinlich Dinge entwickeln, die jetzt schon etwas vom Himmel sichtbar machen. Deshalb will ich kurz vier „Produkte“ der Werkstatt beschreiben, die sich aus der Beschreibung der himmlischen Gesellschaft in der Johannesoffenbarung ergeben.
1. Das erste verblüffende „Produkt“ ist, dass Gott offenbar überhaupt kein Interesse hat an einem Himmel, der mit der Erde nichts mehr zu tun hat, einen Himmel, der nur als ewige Belohnung auf die Gerechten wartet. Da will Gott überhaupt nicht wohnen. Sondern er zieht um, höchst persönlich: Vom Himmel auf die Erde. »Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen; sie werden sein Volk sein. «
Genau durch diesen Umzug Gottes wird die Erde rundum erneuert. Am Ende der Zeiten. Und zwar endgültig. Aber damit bringt er ja nur zu Ende, was er längst schon angefangen hat. Einer der Berichte über Jesus, das Johannesevangelium, sagt: In Jesus ist Gottes Wort schon in die Welt gekommen und „wohnte unter uns.“
Wir merken: Himmlische Gesellschaft hat eine Menge damit zu tun, wo Gott wohnt. Und deshalb wünschen wir uns von Herzen, dass Gott auch hier im Refugio wohnt. Nein, eigentlich haben wir es in den zurückliegenden Wochen schon erleben dürfen, dass er das längst tut.
Aber wer wohnt da denn noch?
Damit kommen wir zum
- „Produkt“. Wir lesen V 3 und 4: „Sie werden sein Volk sein – ein Volk aus vielen Völkern, und er selbst, ihr Gott, wird immer bei ihnen sein. 4 Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein.“
Ein Volk aus vielen Völkern. Auch in diesem Sinne wollen und dürfen wir uns „Werkstatt für himmlische Gesellschaft“ nennen. Was diese Gesellschaft aber vor allen anderen auszeichnet, ist folgendes: Hier werden Traumata geheilt. Geschichten angehört, egal wie erschütternd sie sind. Familientragödien und Fluchtgeschichten. Geschichten von Chancenlosigkeit und Verzweiflung. Von Verfolgung und Gewalt. Da dürfen Tränen fließen und werden dann behutsam abgewischt. Und die Angst weicht – langsam aber sicher.
3. Produkt oder Merkmal der himmlischen Gesellschaft
„Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Der Herr selbst, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm.“ (V. 22):
Das ist eine hoch interessante Aussage. Der Tempel ist das Symbol für Religionen. Bei dem Stichwort denken viele direkt an Religionskriege. Leider zu Recht. Religionen können grausamen Unfrieden säen. Wenn jede darauf beharrt, allein recht zu haben.
Nach der Vorstellung der Bibel werden am Ende die Religionen abgeschafft. Und an die Stelle tritt eine unmittelbare Beziehung zum lebendigen Gott. Wir Christen können dabei nicht anders als an Jesus denken, dass Lamm Gottes, der mit seinem Leben und Sterben die grenzenlose Hingabe Gottes gezeigt hat. Jedenfalls wird dann keine Religion mehr nötig sein. – Wenn zum Refugio auch eine Art Stadtkloster gehört und Gottesdienste usw., dann nicht etwa, weil wir die christliche Religion anderen überstülpen wollten, sondern weil wir Raum schaffen wollen, in dem Menschen jetzt schon dem lebendigen Gott selbst begegnen können.
(4.) Ein letzter Punkt, was wir aus der Offenbarung als Werkstatt für himmlische Gesellschaft lernen können:
24 Die Völker werden in dem Licht leben, das von der Stadt ausgeht, und von überall auf der Erde werden die Könige kommen und ihren Reichtum in die Stadt bringen. 26 Die herrlichsten Schätze und Kostbarkeiten der Völker werden in die Stadt gebracht. 27 Aber etwas Unreines wird dort niemals Einlass finden.
Alle Völker haben etwas einzubringen. Da wird auch nicht mehr in Hilfsbedürftige und Helfer eingeteilt, sondern jeder hat etwas beizusteuern in die himmlische Gesellschaft. Aber! Nicht alles hat dort Platz. Was die Gemeinschaft untereinander und mit Gott stört, bekommt da keinen Raum zur Entfaltung mehr: Das gehört da nicht hin. Darf nichts mehr kaputt machen.
Sharehaus Refugio, eine Werkstatt für himmlische Gesellschaft. Noch vieles muss sich da entwickeln. Aber hoffentlich wird genau das geschehen unter Gottes Segen.
Amen
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Im Anschluss an den Gottesdienst gab es arabisches Essen aus der Küche im vierten Stock – und dann interkulturelle live-Musik auf verschiedenen „Bühnen“, jeweils heftig umjubelt: z.B. die Singer-Songwriterin vom Kreuzbergprojekt, die auch den Gottesdienst mitgestaltet hatte.
Und ganz besondere Begeisterung kam auf, als Jean Samara, unser erster Syrienflüchtling im Sharehaus 1 – ein begnadeter Musiker -, mit einer spontan zusammengestellten Musikgruppe syrische Lieder sang – und andere junge Syrer dazu klatschten, mitsangen, tanzten und übers ganze Gesicht strahlten. Was muss das für ein Gefühl sein, fern der zerstörten Heimat und nach unsäglicher Flucht so angekommen zu sein!
Sharehaus Refugio. Ein bisher in Deutschland einzigartiges Projekt, wie RTL in seinem fast 6-minütigen Fernsehbeitrag vorige Woche feststellte.
Und für mich nach fast einjähriger intensiver Planungsarbeit ein echtes Erfolgserlebnis. Erst recht im Vergleich zu dem gespenstischen Ambiente, das hier noch vor drei Monaten in dem zum großen Teil leerstehenden düsteren Gebäude herrschte. Jetzt brummt das Haus vor Leben! Eine Werkstatt für himmlische Gesellschaft eben.