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Katalonische Zukunft ungewiss (2017-10-10)

Vorhin fand die mit großer Spannung erwartete Sitzung des Katalanischen Parlamentes statt. Nach den Großdemonstrationen am Sonntag (endlich meldeten sich auch mal die Gegner unter den Bürgern zu Wort) war es erst mal ruhig. Die Menschen, mit denen ich derweil ausführlich über die Entwicklung sprechen konnte – ein junger Mann in Deltebre, also im Ebrodelta ganz im Süden von Katalonien, und ein mittelalterlicher Mann in Tossa de Mar an der Costa Brava, beide überzeugte Katalanen – meinten übereinstimmend, das sei eine ganz schwierige Situation und keine Lösung in Sicht. Beide forderten, was auch am Sonntag auf vielen Demoplakaten zu lesen war: „Verhandelt – oder tretet zurück!“ Gemeint sind der katalanische regionale Ministerpräsident Puigdemont wie auch der spanische Rajoy. Ersterer hatte ja bereits immer wieder Gespräche mit der Zentralregierung gefordert. Und hat auch heute genau diesen Wunsch bekräftigt und als Zeichen der Deeskalation zwar am Unabhängigkeits-Ziel festgehalten, aber die Abstimmung darüber auf unbestimmte Zeit verschoben.

Leider war aus Madrid bisher wieder nur die altbekannte Leier zu hören: weil das eh ganz  ungesetzlich sei, könne es auch keine Gespräche geben.

Das bedeutsamste politische Erbe von Frank Walter Steinmeier als Außenminister ist für mich, dass er unermüdlich auf Verhandlungen und Gespräche gesetzt hat. Frei nach dem Motto: Ein Gespräch ohne Ergebnis ist immer! besser als keins. Wodurch kam endlich das Atomabkommen mit Iran zustande? Nur durch solche Gespräche! Wodurch wird ein Atomkrieg mit Nordkorea zu einer real bedrohlichen Möglichkeit? Weil es keine Gespräche gibt. In der Politik, der Wirtschaft, bei Kirchens und im Privaten gibt es manchmal Situationen, in denen Gesprächspausen vonnöten sind. Aber wo es dabei bleibt, dass die andere Seite keines Gesprächs mehr gewürdigt wird, ist die Eskalation vorprogrammiert und eine gute Lösung nicht mehr möglich.
Leider, wie gesagt, gibt es zur Zeit keine Anzeichen für diese Einsicht bei der Regierung in Madrid.
Interessanterweise ist es mir nicht gelungen, mit einem Unabhängigkeitsgegner in einen Austausch zu kommen. Da wurde immer nur direkt abgewunken. Manchmal schon bei der Frage, ob jemand katalanisch oder spanisch spreche. „Katalanisch? Niemals!“
Mein einundzwanzigjähriger Gesprächspartner in Deltebre sagte: „Beide haben Fehler gemacht: Puigdemont und Rajoy. Beide müssten daraus lernen.“
Er erzählte auch, dass ihm das Thema vor einem Jahr noch egal gewesen sei. Aber seit er Geschichte studiere, habe sich seine Meinung geändert. Und viele Kinder in der Region könnten Spanisch nur verstehen, aber nicht sprechen. Und: In anderen Teilen Spaniens sei er schon öfter blöd angemacht worden, als man herausbekam, dass er Katalane sei.

Trotzdem, von außen betrachtet würde eine Unabhängigkeit lauter kaum lösbare Probleme schaffen: Für Katalonien, für Spanien und für Europa.
Aber wie gesagt, wo keine Gesprächsbasis mehr ist, blühen die Mythen.

Autonomes Katalonien 2017-09-30

Am Vortag des geplanten Unabhängigkeits-Referendums in Katalonien sind wir zum Wandern in der Provinz unterwegs. Ca. 25 km nördlich von Barcelona liegt in einem Naturschutzgebiet der 1104 m II hohe Berg La Mola, auf den wir durch ein Buch über Katalonien aufmerksam geworden sind: Nicht so berühmt und nicht so überlaufen wie das bekannteste Bergmassiv ganz in der Nähe mit dem gleichnamigen geschichtsträchtigen Kloster Montserrat, das man von hier sehr schön sieht.
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So einsam und still, wie im Buch beschrieben ist la Mola aber an diesem Samstag bei weitem nicht. Auf dem Hauptweg steigen Hunderte von Spaniern (oder Katalonen – was weiß ich) bergan, und zwar permanent laut mit einander diskutierend. Stille der Berge? Pustekuchen.
Von Weitem schon verfängt sich der Blick an einem senkrechten Felspfeiler in etwa 900 m Höhe. Nicht nur wegen der schroffen Steilheit, sondern weil dort eine riesige katalanische Fahne die Felswand herunter hängt Und gleich daneben ein ca. 5×5 m großes Tuch mit lauter bunten „si“ – Quadraten.
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Beim Abstieg am Nachmittag kommen wir näher vorbei und sehen Kletterer, die genau dort am Fels unterwegs sind.
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Nach einer Rast im ehemaligen Kloster auf dem Gipfel kommen wir an ein paar Mulis vorbei und einem der wohl für die Gegend typischen Großesel (links im Bild). Der ist – im ausdrücklichen Unterschied zum spanischen Stier – das Wappentier Kataloniens: Friedlich und stur.
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Wenig später lernen wir Santi kennen, einen einheimischen jungen Mann, der den Aufstieg auf verschiedenen Wegen mehrfach in der Woche macht und uns eine besonders schöne, aber nicht zu schwierige Abstiegsroute zeigt. Diesmal ist er mit einem Freund unterwegs. Natürlich frage ich ihn (er spricht sehr gut englisch), was er morgen macht. „Meine Ja-Stimme abgeben, was sonst.“ sagt er. Und erklärt mir dann: Wir Katalonier sind ganz friedliche Leute. Aber die Regierung in Madrid hält uns jetzt schon seit bald 15 Jahren immer wieder hin. Immer wieder nur leere Versprechungen. Eine Volksabstimmung, an der alle in Spanien teilnehmen, macht keinen Sinn. Wie können Andalusier für uns mitentscheiden. Wir sind Europäer, aber keine Spanier!“ Ich weise ihn darauf hin, dass das mit Europa auch nicht so einfach ist, und die Unabhängigkeit ja noch lange keine EU Mitgliedschaft bedeutet oder ermöglicht. „Ja, sagt er, das wissen wir doch. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, 10 oder 15 Jahre. Aber das ist es wert.“ Und dann fügt er noch hinzu: „Gesetze müssen doch den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Und deshalb muss man manchmal etwas gegen die Anwendung von Gesetzen tun. Damit sich endlich mal etwas bewegt. Aber wir sind friedliebende Menschen. Und wollen keine Gewalt.“
Wir reden noch über die Flüchtlingskrise und dies und das (z.B. das Konflikte nie mit Rache, sondern nur mit Liebe wirklich zu lösen sind – so kitschig das vielleicht klingt) – und haben irgendwie das Gefühl, in diesen zwei sympathischen jungen Männern so etwas wie Freunde für
eine halbe Stunde gefunden zu haben.
WP_20170930_023 Ich empfinde jedenfalls Sympathie auch zu ihrer Weltsicht. Ob sie im Hinblick auf Katalonien recht haben? Ich weiß es wirklich nicht. Aber dass die Gegendemonstranten in Madrid heute mit ihrem Ruf „Separatisten – Terroristen“ völlig daneben liegen, das weiß ich. Kriminalisierung von Volksgruppen war noch nie eine Lösung.
In der Dorfschulen von Matapedera am Fuße des La Mola sitzen ein paar Erwachsene in der Eingangshalle, diskutieren offenbar miteinander und schieben wohl Wahllokal-Wache. Auf einem Fernseher läuft die Übertragung eines Fußballspiels. Von der örtlichen Polizei, die ihre Wache auf der Rückseite des Gebäudes hat, ist nichts zu sehen.
Zurück in Barcelona:
Das Konzert der 1000 Töpfe heute Abend ist besonders vielstimmig und länger anhaltend als in den letzten Tagen, begleitet von Hupkonzerten und Böllern. Was wird der Tag morgen wohl bringen?
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Autonomes Katalonien 2017-09-28

Während in Deutschland die Parteien immer noch heftig mit der Wahl-Katerstimmung zu kämpfen haben, spitzt sich die Lage in Katalonien vor dem Unabhängigkeits-Referendum zu. D.h. In den vorigen beiden Tagen war relative Ruhe – abgesehen vom eindrucksvollen Töpfeschlagen aus unzähligen Fenstern jeden Abend um 22.00.
Heute aber lag plötzlich viel Energie in der Luft. Eigentlich hatten wir nur eine geführte Fahrradtour durch Barcelona gebucht. IMG-20170928-WA0010

Juliano, unser prima deutsch sprechender Guide hatte allerdings gleich zu Beginn angekündigt, auch über „das Problem zwischen Katalonien und Spanien“ berichten zu wollen. Aber kaum unterwegs, gerieten wir auch mitten hinein: Zunächst in eine Demo gegen die Unabhängigkeit (endlich mal wahrnehmbar). Auf dem Place de Sant Jaume, dort, wo vor drei Tagen noch die katalonische Folklore aufgeführt wurde, demonstrierten vielleicht zwei bis dreihundert Anhänger der Partei DiP vor dem Gebäude der Regionalregierung lautstark gegen die Abspaltung.

Unterwegs erklärt uns Juliano, dass die Katalanische Flagge eigentlich nur gelb rot gestreift sei (und in der Form die älteste der Welt). Das blaue Dreieck mit dem Stern aber sei von der Kubanischen Revolutionsfahne abgeschaut und als Symbol für die Unabhängigkeit verboten. Jedenfalls an öffentlichen Gebäuden.
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Nach einem Abstecher in den Innenhof des frühesten Krankenhauses in Barcelona (heute u.a. ein Kulturzentrum), wo wir die „erlaubte Fahne“ sehen, nähern wir uns der Placa Universität. Und plötzlich ist der Bär los: Der Platz ist schon weitgehend gefüllt mit Tausenden junger Menschen, die die „verbotene“ Fahne schwenken oder sich darin eingehüllt haben. Von der Großbühne dröhnt Rockmusik. Und von allen Seiten strömen unablässig weitere Jugendliche hinzu.

Die Polizei wird später 10.000 Schüler und Studenten zählen. Wahrscheinlich sind es eher 15.000. Partystimmung. Unabhängigkeits -hype. Untermalt von ausgelassenem Hupkonzert in den umgebenden Straßen. (Dabei hat Barca gestern Abend doch gegen Sporting Lissabon in der Championsleague 0:1 verloren). Die ganze Woche schon machen Oberstufenschüler und Studenten blau „aus Protest gegen die Haltung Madrids“.
Juliano kann darüber nur den Kopf schütteln.IMG-20170928-WA0011 Er sei ein unpolitischer Mensch. Und ihn interessiere das Referendum eigentlich nicht, so wie die meisten anderen. Ob er denn dagegen stimmen würde, frage ich ihn. Aber er zuckt nur mit den Schultern.
Problem dabei ist, dass der katalanische Ministerpräsident Charles Puigdemont das Ergebnis werten will, egal wie hoch oder niedrig die Wahlbeteiligung ist und seien es nur 20%. Auf der anderen Seite fällt der Regierung in Madrid auch nichts anderes ein, als alles zu verbieten. Man könnte ja auch mal miteinander reden…
Katalonien, das seit 500 Jahren immer wieder von Spanien unterdrückt und kleingehalten wurde, zuletzt unter der FrankoDiktatur bis 1975!
Die Bürgermeisterin von Barcelona hat heute die EU aufgerufen, in diesem schweren Konflikt zu vermitteln. Und jedem, der ein bisschen weiterdenkt, ist klar, dass ggf. eine Unabhhängigkeitserklärung nächsten Dienstag ein noch ganz anderes Desaster auslösen würde als der Brexit vor einem Jahr.

Am Nachmittag in einer Tappas-Bar lesen wir in einer Zeitung, dass die Unabhängigkeits-Aktivisten Freiwillige suchen, um Schulen als Wahllokale zu besetzen, bevor die Polizei sie sperren kann. Oder wenn das nicht gelingt, wenigstens demonstrative lange Schlangen vor jedem der 2600 geplanten Wahllokale zu bilden.
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(Auch diesen Beitrag habe ich nur auf dem Handy erstellt und bitte erneut etwaige Fehler und technische Pannen zu entschuldigen.)