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Unterwegs auf verschiedenen Bühnen

Jetzt ist es schon wieder ein viertel Jahr her, dass ich von unserer „Oper für Obdach“ berichtet habe. (Die ist übrigens so eingeschlagen, dass wir das Projekt voraussichtlich am 3. November wiederholen werden.)

Seit dem habe ich mich in unterschiedlichen Funktionen auf verschiedenen Bühnen herumgetrieben, wovon ich heute erzählen möchte. Denn das macht einen wichtigen Teil meiner Arbeit aus – auch wenn es bei weitem nicht den Löwenanteil der Zeit beansprucht. Das sind eher die „Management-Aufgaben“: Organisation, Personalentwicklung, unzählige Mails, Meetings, Konzepte und Berichte schreiben, Sitzungen vorbereiten…

Dazwischen sind dann die Predigten, Vorträge und Musikprojekte eine willkommene Abwechslung.

I. Den ersten schönen Musikauftritt habt ihr schon im Beitragsbild gesehen. Das war (noch vor der Oper für Obdacht) beim Jahresfestgottesdienst der Berliner Stadtmission am ersten Sonntag im März. Inzwischen habe ich eine fast konstante Projekt-Band, mit der ich nun schon zum dritten Mal diesen großen Gottesdienst musikalisch begleitet habe: Die Kolleginnen Carolin und Dörte mit tollen Stimmen, Tom (Architekt bei Sauerbruch & Hutton) am Keybord, Lukas an der Cajon und ich mit E-Bass und Gesang. 2016 waren wir damit in der Halle unserer großen Flüchtlingsunterkonft in der Mertensstraße. (Vielleicht erinnern sich einige.) Dieses Mal fand der Gottesdienst wieder im Saal im Zentrum am Hauptbahnhof statt. Und ich konnte die Band erstmals um zwei Bläser erweitern. Mit Trompete und Tenorsaxophon hat man gleich ganz andere Arrangement-Möglichkeiten. Und weil FSJlerin Eva und Sozialarbeiter Jürgen das richtig gut gemacht haben, waren die Rückmeldungen entsprechend begeistert.

Foto: Berliner Stadtmission

Hinzu kommt sicher, dass die thematisch ausgerichtete, musikalisch abwechslungsreiche Liedauswahl in ihrer Mischung aus Kirchentagsliedern, Lobpreis, Choral usw.  viele Menschen auf die eine oder andere Art anspricht. (Ihr wisst ja: Ich liebe „cross-over“, also die Kombination von Elementen, die man nicht unbedingt miteinander erwarten würde.) Uns hat es jedenfalls auch richtig viel Spaß gemacht.

II. Vom 23.bis zum 25. März fand in Berlin der Gemeinde-Ermutigungs-Kongress „Dynamissio“ statt. (…leider mit 2000 Teilnehmern fast zwei Drittel weniger als erwartet. Aber das war ja beim Kirchentags-Schluss-Gottesdienst in Wittenberg auch nicht besser – wenn da mal 1/3 der ursprünglich erhofften oder phantasierten Besucherzahl von 300.000 gekommen waren! Kirchentag wäre auch noch ein Thema unter dieser Überschrift. Aber das lass ich jetzt mal aus.)

Foto: Mara Feßmann

Wie auch immer. Zusammen mit Claudia Filker und Tobias Faix (CVJM-Hochschule Kassel, im Bild Mitte) hatten wir die Aufgabe, in drei Kurzbeiträgen Konkretionen zum Tagesthema „Die Stadt und die Welt wahrnehmen“ zu liefern. Meinen Beitrag „Berliner Lebenswelten“ wie auch alle anderen findet ihr unter diesem link: http://dynamissio.de/infos/downloads/

Insgesamt gab es auch hier viele positive Rückmeldungen. Allerdings konnte der Kongress insgesamt die Freude an urbaner Theologie und geistlichen Entdeckungsreisen durch die Stadt nicht so recht wecken. In Programmheft und Moderation nicht erklärt, blieb es für viele unverständlich, warum sie zwischendurch zu Seminaren und Foren durch ganz Berlin geschickt wurden.  Eigentlich war es – im Unterschied zu Zentral-Veranstaltungen wie einem Willow-Creek-Kongress – als ein didaktischen Kernstück gedacht gewesen, die Stadt auch wirklich mit allen Sinnen zu erleben. Aber – wie gesagt – leider ist das nicht richtig rüber gekommen und wurde von vielen dann nur als lästig empfunden.

Durch das sehr breite Spektrum von Rednern – vom EKD Ratsvorsitzenden Heinrich Bedfort-Strom bis zum Pfingstpastor aus Braunschweig Heinrich Christian Rust sowie einigen Gästen aus der angelsächsischen Welt – war aus meiner Sicht das inoffizelle Hauptthema: Wir Evangelischen aus Landeskirche, Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste, Pietismus und diverse Freikirchen können es doch irgendwie ganz gut miteinander.
Allerdings war durch diese Mischung irgendwie auch die „ownership“ nicht richtig klar, also welche kirchliche Richtung identifiziert sich wirklich mit dem Kongress. Unsere Landeskirche Berllin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) z.B. hatte sich komplett ausgeklinkt. Und das lag sicher nicht nur am ebenfalls bevorstehenden Kirchentag.

III. Weiter gings (nach einer Woche Skiurlaub) im April als Prediger bei Gottesdiensten in verschiedenen Stadtmissions-Gemeinden sowie dem Passionsgottesdienst für die Mitarbeitenden der Stadtmission. Dazwischen der erste Schnuppertag für Interessierte an unserem neuen Bachelor-Studiengang „Theologie, Sozialraum und Innovation“, den wir zusammen mit anderen Verbänden als sog. „An-Institut“ an die Evangelische Hochschule Tabor (Marbug) entwickelt haben.

Im Oktober startet das erste Semester bei uns in der Lehrterstraße.

Schnuppervorlesung im zukünftigen Seminarraum

Ziel ist es, Menschen für Gemeindegründungen und -neubelebungen auszubilden, die einerseits eine solide theologische Ausbildung haben, andererseits sich kompetent in verschiedenen Sozialräumen bewegen können und das notwendige Handwerkszeug für geistliche „Start-ups“ gelernt haben. Und die brauchen wir dringend. Dann die herkömmlichen Formen von Gemeindearbeit erreichen immer weniger Menschen, weil es keine Verbindung zu ihrer Lebenswelt gibt. (Hier berühren sich Studiengang und mein Dynamissio-Referat.)

Weitere Infos zum Studiengang findet ihr hier:
http://www.tsberlin.org/.    Jetzt ist übrigens ein guter Zeitpunkt, um sich für das Studium zu bewerben 😉

IV. Berührung mit den Lebenswelten ist auch das entscheidende Thema für unsere Stadtmissionsgemeinden. Und bedeutet jetzt im Frühsommer: Gestaltung von oder Beteiligung an Kiez-Festen. So wie vorletztes Wochenende gkleich zweimal: Zunächst in Lichtenberg beim kommunalen Fest im Weidling-Kiez, wo ich mit Thomas Hoffmann zusammen gleich nach der Eröffnung durch den Bezirksbürgermeister Musik für Kinder und Erwachsene gemacht habe.

Foto: Andreas Schlamm

 

 

 

 

 

 

Und am Sonntag beim Hoffest an der St. Lukaskirche in Kreuzberg, an dem außer unserer Gemeinde, den Chören,  unseren pädagogischen Projekten auch die dort ansässige Gehörlosengemeinde und verschiedene Partner aus der Straße beteiligt waren (kommunales Jugendzentrum „Alte Feuerwache“, Mövenpick usw.).

Foto: Alexander Moeck

Ein „zweisprachiger“ Kurzgottesdienst mit der Gehörlosengemeinde hat dabei inzwischen schon Tradition.

Foto: Alexander Moeck

Und wir sind sehr gespannt, wie sich die hochengagierte iranische Gemeinde und die kleine anatolische Gemeinde in St. Lukas weiterentwickeln werden, die beim Fest natürlich auch mitgemacht haben.

 

V. Eine ganz andere Bühne hatte ich ein Wochenende vorher im Kloster Altenberg bei Wetzlar. Dort war ich als Festprediger der Kreiskirchentage (der Kirchenkreise Wetzlar und Braunfels) eingeladen. Am Sonntagmorgen fanden unter der gigantischen Blutbuche 200 – 300 Besucher einen wunderbaren Schattenplatz.

In meiner Predigt zum Thema „erlöst, vergügt, befreit – so geht evangelisch“ habe ich anhand der unglaublich köstlichen Geschichte von der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis (Apg 12,1-9) mit gemacht zu fröhlicher Gelassenheit, die ihre Kraft aus dem Vertrauen auf Gott zieht.

Foto: Uta Barnikol-Lübeck

Foto: Uta Barnikol-Lübeck

 

 

 

 

 

 

Am Vortag hat mein Kollege und Freund aus Kölner zeiten, Reiner Fischer den Hauptvortrag. Und es war richtig schön, ihn mal wieder zu sehen und sich mit ihm auszutauschen. Genauso wie mit Pfr. Armin Kistenbrügge (dem Autor der genialen Bibel-Nacherzählung für junge Leute: #gottesgeschichte. Das Buch ist m.E. ein Muss in der Jugendarbeit wie als Zugang für Ahnungslose zur Bibel) und seiner Frau Kerstin Offermann, auch Pfarrerin (bei der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste in Berlin).

Armin ist Pfarrer in Greifenstein (bei Wetzlar). Eine seiner beiden Kirchen ist dieses barocke Bauwerk (Foto unten) auf einem 500 m hohen Berg gleich neben der gleichnamigen Burgruine – mit 80 km Aussicht in alle Richtungen.

Und mit diesem Ausblick will ich für diesmal auch schließen. Seid gegrüßt!

 

Myfest

1. Mai in Berlin. Die Stadt brummt. Mal wieder mehr als eh schon. Erst recht bei diesem Traumwetter. Die Gewerkschaften haben eine Demontration vom Hackischen Markt zum Brandenburger Tor organisiert, woran einige Tausend teilnehmen. Aber richtig voll ist es in Kreuzberg beim sogenannten „Myfest“ (gesprochen wie Maifest, aber mit der englischen Bedeutung: Das ist mein Fest). So richtig Kreuzberg! Schrill. Laut. Links. Die Organisatoren haben in Ihrem Flyer (früher hieß sowas Flugblatt) parolenmäiß formuliert, worum es ihnen geht.

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Das Ganze auf 8 Bühnen zwischen Görlitzer Bahnhof und Moritzplatz, Skalitzer Straße und Mariannenplatz.

Ich habe mich circa drei Stunden lang unters Volk gemischt, die allergrößte Mehrheit davon 20 – 30 Jahre jünger als ich. Allerdings musste ich das Politische dann echt suchen.

Bei dieser Bürgersteig-Kunst hier in der Oranienstraße fällt es mir jedenfalls schwer, das politisch zu interpretieren:

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Also weiter. Ich spar mir jetzt erst mal meine Kommentare und zeige euch statt dessen meine Fotoserie. Macht euch selbst ein Bild.

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Also eigentlich eine Partymeile mit türkisch-arabischer Musik und unzähligen Rauchopfer-Grills. Auf dem Mariannenplatz mischen sich dann unter die Fress-Stände doch ein paar linke Infozelte.

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Was Waffeln mit dem Türkei-Deal zu tun haben, frage ich mich allerdings schon.

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Hinter der Bühne der Linken: Die St.-Thomas-Kirche. So wie Heilig-Kreuz beim Karneval der Kulturen am Pfingstmontag ist auch diese hier jetzt geöffnet. Und permanent gehen Menschen dort ein und aus. Innen ein modern gestaltetes Kirchenschiff (wobei man beim Blick nach oben genau sieht, bis zu welcher Höher das Renovierungsgeld gereicht hat). Deutlich weniger Trubel. Ein Tisch für Gebete, der intensiv genutzt wird.

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Das richtig alternative Kreuzberg gibts natürlich auch noch, wie hier das wilde Camp hinter dem Zaun mit den merkwürdigsten Wohnmobilen.

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Und natürlich darf die Einladung zur Hanfmesse Berlin in dem ebenso wilden Camp an der Schillingbrücke an so einem Tag auch nicht fehlen. (Hier findet man jetzt schon eine Weiterverarbeitung dieses Rohstoffes)

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Genauso wenig darf das riesige Polizeiaufgebot fehlen (Da kommen sogar auch nochmal die grünen Mannschaftsbusse zum Einsatz). In früheren Jahren gab es zum 1. Mai immer heftige Ausschreitungen.

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Dieses Jahr bleibt alles ruhig, jedenfalls zunächst.

Wie revolutionär ist Kreuzberg heute noch? Nicht nur Soziologen beobachten deutliche Verschiebungen. Auch diese Ladenbesitzer in der Oranienstraße, die die Kommerzialisierung und Partysierung des Myfestes als Abfall vom wahren Kreuzbergtum entlarven:

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Immerhin startet gegen 18 Uhr am Oranienplatz dann doch noch eine ziemlich spontane, aber genehmigte „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“: Laut, mit Antifa-Fahnen, Böllern, dem Ruf „Refugees are welcome here“. In der Köpeniker Straße zählt die Polizei inzwischen 13.000 Teilnehmer. Am Ende, am Lausitzer Platz, fliegen dann doch noch an die 100 Flaschen auf die Polizei (nicht nur von Demonstranten, sondern auch von Touristen, wie der Tagesspiegel berichtet). Ansonsten gibt es offenbar kaum Übergriffe. Auf der Oberbaumbrücke geht die Musikparty jedenfalls ungestört weiter.

Vernünftig – oder läppsch geworden?

Kontrastprogramm am Morgen:

Heute haben wir vom missionarischen Team der Stadtmission ein neues Veranstaltungsformat gestartet:

Mit_Gott_auf_der_Spree-2016-1_02_9ba01a525dAb dem 1. Mai findet an den ersten Sonntagen im Monat nicht mehr der traditionelle Schiffsgottesdienst statt, sondern diese 90-minütige Bootsfahrt mit überraschenden Entdeckungen, Live-Musik und den eben etwas anderen touristischen Hintergrundinformationen während der Bootsfahrt. Zum Abschluss gibt es ein Friedensgebet und eine Strophe „Geh aus mein Herz“.

Obwohl die Reederei die Werbung verschnarcht hatte, war das Schiff fast voll. Und die Gäste waren von unseren Erklärungen und Anekdoten, der Musik von Sebastian Bailey (Saxofon, z.T. von mir auf Gitarre begleitet), dem Quizz und den geistlichen Inhalten begeistert. Den Löwenanteil der inhaltlichen Vorbereitung hatte Lorenz Bührmann übernommen, der aber als ausgebildeter Domführer auch besonders befähigt ist. Und immer noch ne Story in Reserve hat! Das war auch gut so, denn zwischendurch blieben wir fast eine halbe Stunde am Nikolaiviertel mit Motorschaden liegen – was aber die Stimmung überhaupt nicht trübte.

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Die nächsten Termine (gleiches Programm, aber andere Mitwirkende) findet ihr auf der Homepage: http://www.berliner-stadtmission.de/aktuelles/mit-gott-auf-der-spree/

Dort findet ihr wie immer auch das Spendenkonto, falls ihr diese Veranstaltung finanziell unterstützen mögt.

Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis:

Bis  August werde ich jetzt mit dem Blog pausieren. Sven Lager und ich schreiben gerade an einem Buch mit Geschichten aus unserer Flüchtlingsarbeit mit Erläuterungen zur Praxis und zum theologischen Hintergrund. Und das hat jetzt Vorrang, damit es Anfäng nächsten Jahres erscheinen kann (Brunnen-Verlag). – Meine öffentlichen Termine aktualisiere ich aber weiterhin.

 

Berliner Hochsommer

Ich mag den Hochsommer in Berlin. Ehrlich. Viele andere stöhnen über die Hitze. Natürlich ist es heiß. Aber Dank des leichten Ostwindes nicht schwül (nur ganz selten) – und nachts kühlt es meistens ganz schön ab. Wenn man vorher in der Kölner Bucht gelebt hat, ist das hier sehr viel angenehmer.

Angenehm ist auch, dass die S-Bahnen ziemlich leer sind, jedenfalls morgens auf dem Weg zur Arbeit. Keine Schüler – und auch sonst scheint halb Berlin ausgeflogen zu sein. Die zusätzlichen „Touris“ fallen kaum auf. Höchstens, wenn sie in einer orientierungslosen Gruppe mit riesen Rücksäcken und Koffern im Bahnhof Rolltreppen und Bahnsteige blockieren – und dabei nicht im Entferntesten merken, wie sehr sie im Weg sind. Da muss man manchmal richtig die Ellenbogen ausfahren. Und man bekommt am Abend eines heißen Tages in der S-Bahn  Sauna gratis, was auch nicht angenehm ist. Blog Nr 33 - 101Aber dann gibt es andere Erfreulichkeiten, wie dieser Cellist im U-Bahnhof Schönleinstraße (Neukölln), dessen einfühlsame Musik mir dann auch mal 2 Euro wert war.

Aber was macht man im sommerlichen Berlin – zum Beispiel an einem Spätnachmittag oder freien Wochenende (wenn man kein Tagestourist ist). Wir haben (nach unserem Bergurlaub in Tirol) unsere Entdeckungsreise an solche Orte fortgesetzt. Und natürlich möchte ich Euch wieder ein bisschen davon miterleben lassen.

Zwei Adressen für das hippe Berlin sind die Eastside-Galerie – längst berühmtester Mauerrest und natürlich auch ein Touristen-Tipp. In Friedrichshain gelegen, 1,5 km am östlichen Spreeufer entlang zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke nahe der O2-Arena: Nach der Wende haben 118 Künstler das Mauerstück von der Straßenseite aus bemalt, viele der Kunstwerke drehen sich um das Thema Frieden und Verständigung, bzw. die Überwindung von Mauern.

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Inzwischen ist aber nicht nur die Spreeseite mit mehr oder weniger schönen Graffitis verziert, sondern auch die Galerie-Seite ist nicht von zusätzlichen „Eintragungen“ verschont geblieben. Wir beobachten etliche Touristen, die meinen, sich mit Edding auf jedem einzelen Gemälde verewigen zu müssen.

Überhaupt ist es mindestens so interessant, die Kombination aus 25jährigem Kunstwerk und aktuellen Menschen auf sich wirken zu lassen. Hier ein paar Beispiele (klickt die Bilder einzeln an und achtet auf Details!).

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Bald ist man bei der architektonisch hübschen Oberbaumbrücke (1894-96 erbaut und zu DDR-Zeiten ein Grenzübergang) und auf der anderen Seite in Kreuzberg. Aber so richtig!

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Wir schlendern weiter, bis wir zum Görlitzer Park kommen, in Berlin seit Jahren berühmt-berüchtigt für seinen ergiebigen Drogenmarkt. Wohl deshalb macht auch der Baedecker einen großen Bogen um diesen Park, der aber ein echtes Erlebnis ist – jedenfalls an einem Sommernachmittag. Direkt am Parkeingang bekommt man IMG_6918den Eindruck, irgendwo in Schwarzafrika gelandet zu sein. Denn plötzlich sieht man nur noch Grüppchen dunkelhäufiger Männer beisammen stehen. Ein bisschen merkwürdig wirkt das schon. Aber wenn man mal riechen möchte, wie „Gras“ riecht (n‘ Joint), ist man hier an der richtigen Stelle, wie übrigens auch in der Hasenheide oder der Sonnenallee in Neukölln.

Wenn man im „Görli“ weitergeht durch diesen landschaftsarchitektonisch hochinteressanten, aber total verlodderten Park, wird es wieder „richtig Berlin“: Diese Mischung! Da grillt eine türkische oder arabische Familie, dort breitet sich ein Roma-Clan aus. Dazwischen überall – überwiegend junge – Einheimische, sagen wir mal mindestens Mitteleuropäer. Und dann auch immer wieder Gruppen, die in sich kunterbunt sind. Unzählige Fahrräder liegen herum. Und alles Volk ist total entspannt und gut drauf.

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Mitten im Park: Ein Kinderbauernhof mit Hühnern, Schweinen, einem Misthaufen! Natürlich von einer freien Initiative organisiert.

Jeden Morgen macht die neugegründete Laufgruppe vom Sharehaus Refugio, zu der auch unser Sohn Lukas gehört, seine Runden durch den Görlitzer Park. Die ganzen Dealer seien völlig ungefährlich – falls man nicht Drogensüchtig sei, bekomme ich erzählt. –

Noch innerhalb der Stadtgrenzen Berlins, aber eigentlich nicht mehr richtig Berlin, sondern eine Welt-für-sich durchstreifen wir am Samstag: Köpenik und Rahnsdorf ganz weit im Südosten am Müggelsee. In der Nähe der Rahnsdorfer Dorfkirche (und hier ist Dorf auch Dorf) leihen wir uns ein Zweier-Kajak und paddeln auf der Müggelspree in Richtung Neu-Venedig. Zu dieser idyllischen Siedlung, die mit ihren vielen engen Kanälen ihrem Namen alle Ehre macht, muss ich nicht viel erzählen. (Die Bilder sprechen für sich.) Höchstens dass der Boots- und Schiffverkehr einschließlich des dazugehörenden Wellengangs auf der Müggelspree unmittelbar an das Treiben auf dem Canale Grande in der Serenissima erinnert.

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Wieder an Altrahnsdorf vorbei paddeln wir noch zum kleinen Müggelsee: Nicht nur ausgesprochen wasserfahrzeughaltig, sondern auch mit einer tollen, amphietheater-artigen Badestelle (kostenlos). Im echten Venedig sollte man das Baden ja eher sein lassen.

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Dämlicherweise haben wir unsere Badesachen im Auto gelassen. Aber es gibt ja noch den Tegeler See ganz bei uns in der Nähe, in dessen Fluten wir uns gegen Abend noch stürzen werden. Vorher machen wir aber noch einen Abstecher in die Altstadt von Köpenick mit Rathaus, Schloss und: Wasser.

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Das ist dann doch auch wieder echt Berliner Hochsommer, wer sich hier unreglementiert IMG_6958gleichzeitig im Wasser (Dahme-Spree-Mündung) bewegt: Ausflugsdampfer und Schwimmer und sehr unterschiedliche Boote. IMG_6962

Was ist Erholung?, haben wir auf der Rückfahrt aus unserem Urlaub diskutiert: Endlich mal wieder ausgeschlafen sein? Klar, auch ganz wichtig. Aber welche Bedeutung hat der angeblich so wichtige Abstand vom Alltag? Ich habe irgendwo ein paar Gedanken dazu gelesen, die wir weiter denken:

Den Kopf frei bekommen, keine E-Mails lesen, beim Wandern oder Schwimmen mal nichts denken, die täglichen Herausforderungen der Arbeit mal vergessen – und dann auch wieder aus ganz anderer Perspektive anschauen. Ist vieles wirklich so wichtig, wie ich es oft denke? Mache ich mir im „normalen Leben“ einen Kopf um Dinge, die man auch ganz gelassen nehmen könnte? Sind meine Schwerpunkte richtig gesetzt? Usw.

Wie „erholt“ man ist, zeigt sich dann nicht nur an schönen Urlaubserlebnissen, die sich anschließend erzählen lassen. Vielleicht zeigt es sich noch mehr daran, ob und wie lange dieser andere Blick auf den Alltag – im Alltag anhält. „Der Alltag hat mich wieder“ ist womöglich eine viel fatalere Aussage, als es auf den ersten Blick erscheint. Aber habe ich Einfluss darauf, ob und wie lange Erholung im zweiten Sinne anhält? Kann oder muss ich dazu andere Denkmuster für den Alltag regelrecht einüben? Oder ist das einfach ein Geschenk?

Der Alltag hatte Christiane insofern ganz schnell wieder, als in der Notunterkunft für Flüchtlinge, den Traglufthallen am Poststadion schon wieder „Land unter“ war. Vorige Woche hatte das Landesamt mal an einem Tag ca. 1600 Flüchtlinge in der Erstaufnahme. Aber leider hat die Politik im vergangenen Jahr nicht etwa für grundlegende Verbesserungen zum Beispiel durch Einstellung ausreichend vieler neuer Mitarbeiter in den Behörden gesorgt. Und so sind schon nach einem kurzen Verschnaufen im Frühsommer die Verhältnisse jetzt wieder wie im vorigen Herbst oder schlimmer. Nur dass diesmal wirklich keiner sagen kann: „Das kommt aber jetzt unerwartet.“ Statt dessen hat man kostbare Monate mit einem lächerlichen Korruptionsskandälchen vertan, das nicht wirklich eins war.

So werden alle freien Träger (natürlich auch wir) mal wieder angebettelt, irgendwie zu helfen. Mittwoch und Donnerstag hat Christiane (und andere vom Team) bis halb zwei in der Nacht gerödelt, um dem neuen Ansturm Herr zu werden. Am Freitagabend um kurz vor 19 Uhr rief eine verzweifelte Mitarbeiterin vom LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) bei Matthias Hamann, dem Chef unserer Traglufthallen, an, ob wir – zusätzlich zur überbelegten Halle – irgendwie noch 100 Flüchtlinge unterbringen könnten. Innerhalb von vier Stunden hat dann unser sensationelles Team organisiert, dass ein Teil der Winternotübernachtung geöffnet wird, und 60 Feldbetten zum Moscheeverein transportiert, mit dem wir (seit dem Ramadan) eng kooperieren. Um Mitternacht hatten alle Hundert ein Bett und was zu essen!

Und jetzt überlegen wir in der Stadtmission, wie wir die Hilfsbereitschaft vieler Menschen so nutzen und vernetzen können, dass Privathaushalte für ein zwei Nächte obdachlose Flüchtlinge aufnehmen können. Aber damit sind wir schon mitten im Thema meines nächsten Blogs (der hoffentlich nicht wieder vier Wochen auf sich warten lässt).

Allen Blog-Lesern wünsche ich jetzt erst mal noch einen schönen Hochsommer, ob daheim oder unterwegs. Erholt Euch gut!