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Oper für Obdach

Am Freitag haben wir ein ganz besonderes Projekt durchgeführt, dass es wahrscheinlich sonst in der Form überhaupt noch nie gegeben hat: Die Winterreise von Schubert (in Auszügen) inszeniert als „Ein-Mann-Oper“ im Hauptbahnhof. Der Bariton Christoph von Weitzel hatte die Idee schon vor über 10 Jahren, das Ganze mit dem Regisseur Hugo Scholter ausgearbeitet und damals die Komplett-Aufführung in 12 verschiedenen Konzertsälen aufgeführt. Sein Anliegen: Menschen auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam machen, nicht so sehr die äußerliche Bedürftigkeit, sondern die menschliche Situation.

Unter diesem Aspekt bekomment die Text dieses romantischen Liederzyklus eine unglaublich aktuelle Bedeutung: Ein Mensch, der zerbrochenen Liebensbeziehungen nachtrauert, heimatlos ist, einsam, ruhelos und zwischen Verzweiflung, Aufbegehren und Illusion hin und her schwankt. Und genau das spielt Christoph von Weitzel singend zur Klavierbegleitung höchst einfühlsam und eindrucksvoll.

Im vorigen Jahr haben wir uns kennengelernt (vermittelt durch unsere Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, Ortrud Wohlwend) und seit dem an der Idee gebastelt, das nun in einer Kurzfassung, kombiniert mit der Lesung von passenden Bibeltexten nicht in einem geschützten Saal aufzuführen, sondern mitten im Hauptbahnhof: Dort, wo täglich 300.000 Menschen unterwegs sind, wo die Bahnen über und unter einem herfahren, wo das Leben pulsiert, wo es laut und zugig ist und keinen Schutzraum gibt.

Foto: DB Station&Service AG

Der Veranstaltungsmanager der DB, Martin Libutzki war sofort Feuer und Flamme, als ich ihm die Idee vorstellte, Geschäftführung und DB-Stiftung ebenfalls. Und so konnte das Projekt als Kooperation von Christoph von Weizel, Berliner Stadtmission und Deutsche Bahn durchgeführt werden. Mit von der Partie der Pianist Frank Wasser, der sich der extremen Herausforderung stellte, die ausgesprochen heikle Klavierbegleitung mit kalten Fingern auf einem E-Piano! zu spielen. Und das heißt, einen hohen künstlerischen Selbstanspruch zurückzustellen, um  in diesem gewagten Projekt gemeinsamMenschenherzen zu bewegen!

Foto: DB Station&Service AG

Mit welcher Hingabe und Begeisterung die beiden Künstler sich in dieses Projekt investiert haben, war einfach nur großartig.

Und ich durfte Teil des Ganzen sein, indem ich zwischen einzelnen Liedern kurze Bibeltexte gelesen habe, die genau die Erfahrungen des vorhergehenden Liedes aufgegriffen und weitergeführt haben.

 

Foto: DB Station&Service AG

Zum Beispiel gleich nach dem ersten Stück „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus…“ das Jesuswort: „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.“

Oder nach dem Lied „Täuschung“, wo der Heimatlose sich mittels einer Schnuffeltüte berauscht und Halluzinationen hat: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk. Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: »Er klage es dem HERRN, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.«“ (Psalm 22,7-9).

Foto: DB Station&Service AG

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Aber dann auch mit angedeuteten Fenstern der Hoffnung, wie zum Beispiel nach dem Lied „Wirtshaus“. Das ist erschütternd dramatisch: Der Heimatlose gerät auf einen „Totenacker“, also Friedhof, und wünscht sich in diesem „kühlen Wirtshaus“ einzukehren, also zu sterben. Aber er stellt fest, dass er auch hier keinen Platz hat: „Sind denn in diesem Hause / die Kammern all besetzt? / Bin matt zum Niedersinken, / Bin tödlich schwer verletzt. / O unbarmherzge Schenke, / Doch weisest du mich ab? / Nun weiter dann, nur weiter, / Mein treuer Wanderstab!“ Er schleudert das Kruzifix, das er bei sich trug weg, legt sich den rauhen Wanderstab wagerecht über die Schultern und taumelt weiter, wie ein Gekreuzigter.

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Dazu dann die Bibelworte, dass kein Mensch in keiner Situation wirklich „gottverlassen“ ist: „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!“ (Psalm 139,8-10)

Und zum Schluss im berühmten Lied vom Leiermann, das Christoph von Weitzel und Frank Wasser in einem erschütternd langsamen Tempo gestaltet haben, ins Zwischenspiel eingefügt eine theologisch sicher gewagte Gedankenverknüpfung: „So steht uns der Geist da bei, wo wir selbst unfähig sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten sollen. Doch der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein – in einer Weise, die nicht in Worte zu fassen ist.“ (Römer 8,26, Basisbibel)

Und dann die Schlusstrophe: „Wunderlicher Alter! Soll ich mit dir gehn? Willst zu meinen Liedern / Deine Leier dreh’n?“

 

Und nun stellt euch vor: Das Ganze auf einer kleinen Bühne mitten im Lärm und Getümmel des größten Kreuzungsbahnhofs Eurapas! Geht das? Hört da einer zu – länger als einen Augenblick?

Foto: DB Station&Service AG

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Das Umwerfende war, dass zu jeder der vier gut halbstündigen Aufführung (um 11.00, 13.00, 15.00 und 17.00 Uhr) mehr als 200 Menschen direkt vor und um die Bühne stehengeblieben sind und mit großer Aufmerksamkeit und Ausdauer oft bis zum Schluss zugehört und zugeschaut haben. Die 1000 Flyer, die wir gedruckt hatten, reichten gerade aus für diese Zuschauer. Dazu kamen aber weitere Tausende, die nur kurz dabei blieben, oder auch von den höheren Ebenen, die sich wie Ränge um die Aufführungsfläche gruppieren, zum Teil auch einen ganzen Durchgang verfolgten (Martin Libutzki meinte, es hätten zwischen 5 und 10 Tausend etwas von der Aufführung mitbekommen). Und immer wieder konnte ich sehen, wie Menschen sich ergriffen die Augen wischten oder sogar ein Taschentuch brauchten. Oder wie der Berliner sagt: „Die hatten Pippi in den Augen“.

Foto: DB Station&Service AG

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Und das Fasziniernede für uns alle, Aufführende und Zuhörende: Der Kontext brachte den Text erst zum Leuchten. Genau diese Lieder und Texte hierhin zu bringen, eben in diese laute Unbehaustheit, rief eine Autentizität hervor, die in einem Konzertsaal unmöglich ist.

Allerdings musste Christoph von Weitzel wirklich sängerische und schauspielerisch Schwerstarbeit leisten, und das, ohne sich wirklich selbst gut hören zu können. – Eine Leistung, vor der man nur den Hut ziehen kann.

Abgerundet wurde jede Vorstellung durch anschließende kurze Interviews z.T. mit uns, aber auch Vertretern der Bahn oder einem früheren Obdachlosen, der aber schon seit Jahren wieder Boden unter den Füßen hat und bei uns arbeitet.

Foto: DB Station&Service AG

Noch drei Eindrücke vom Rande:

Bei der ersten Aufführung kam, nachdem ich meinen ersten Text gelesen und wieder von der Bühne getreten war, eine Frau mittleren Alters zu mir, die mich energisch fragte: „Sind Sie Schauspieler oder Pfarrer?“ Ich sagte: „Pfarrer“. – „Dann ist das zynisch, was Sie hier machen. Die Kirchen sind die größten Gebäudebesitzer in Deutschland“, schimpfte sie los. Ich unterbrach sie und sagte: „Entschuldigung, aber ich arbeite bei der Berliner Stadtmission.“ – „Ach soo“, sagte sie und ihre Empörung war wie weggewischt. Und dann „Sammeln Sie auch hier?“ Ich: „Nein, wir wollen Menschen nur aufmerksam machen. Aber Sie können gerne etwas überweisen.“ Worauf Sie zufrieden weiterging.

Aber nicht alle fanden die Aufführung toll. Eine Mutter schob ihre beiden Mädchen im  Grundschulalter an mir vorbei nach vorne. Nach zwei Liedern kamen sie aber zu ihrer Mutter zurück: „Mama, lass uns gehen. Das ist soo traurig.“ Die Mutter erklärte ihnen aber dann sehr gut den Zusammenhang, bevor sie weitergingen. So werden auch die sich wohl erstmalig über die Situation von Obdachlosen Gedanken machen.

Wie gesagt, eigentlich wollten wir bewusst keine Spenden sammeln. Aber schon nach dem ersten Auftritt kamen verschiedene Menschen, die uns Geld in die Hand drückten. So hat Ortrud Wohlwend noch schnell eine Spendenbox geholt, in der sich bis zum Abend über 1000,- € sammelten.

Foto: DB Station&Service AG

So und hier könnt Ihr euch jetzt den kurzen Dokumentarfilm unseres Artrejo Film-Teams anschauen:

Natürlich haben wir den extrem gelungenen, wenn auch echt anstrengenden Tag mit einem gemütlichen und sehr leckeren Abendessen im Hotel Albrechtshof gemeinsam ausklingen lassen. Und der gemeinsame Spirit, der uns schon bei der Vorbereitung und Durchführung bewegt hat, war auch hier einfach wunderbar. So dass es noch recht spät wurde.

Übrigens: Frank Wasser ist nicht nur Pianist, sondern Geschäftsführer von Schloss Ribbeck im Havelland und Intendant der gleichnamigen Musikfestspiele. Wir haben schon ein bisschen rumgesponnen, was man vielleicht da 2019 anlässlich des Fontane-Jahres an überraschender Performance gestalten kann. Mal schaun.

Auf die Einladung zu einem Besuch dort werde ich jedenfalls nicht erst in zwei Jahren eingehen. Und das ist ja dann auch schon wieder eine neue Entdeckungsreise, auf die ihr euch mit mir schon freuen könnt.

 

 

„This Land is My Land…“?

Erinnert Ihr Euch an diesen wunderbaren Folksong von Woody Guthrie, bereits 1940 geschrieben, aber bis heute immer wieder aufgelegt. Ich hab besonders die Fassung von Joan Baez im Ohr. Dieses Lied, das Freiheit und Weite atmet: „“From California, to the New York Island, from the redwood forest, to the gulf stream waters. This land is made for you and me.“
Wer’s nicht im Ohr hat, hier ein schöner Zusammenschnitt der verschiedensten Interpreten: https://www.youtube.com/watch?v=OZiMNBqVlEI)

Aber Woody Guthrie hatte in seiner ursprünglichen Fassung nicht nur die Schönheit Amerikas im Sinn, sondern zielte zugleich auf die krassen sozialen Ungerechtigkeiten:

„And some are grumblin‘ and some are wonderin‘
If this land’s still made for you and me.“

(Manche murren und manche fragen sich, ob das Land immer noch für dich und mich ist.) Diese Stophen sind aber nie veröffentlicht worden.
„This Land is My Land!“ – Wie es den anderen geht, interessiert mich nicht. Und vor allem soll es mir keiner wegnehmen, es soll keiner eindringen, der hier nicht hingehört.

Eine weitere unveröffentlichte und erst 1997 entdeckte Zeile lautet:
„There was a big high wall there that tried to stop me;
Sign was painted, it said private property“
(Da war eine große hohe Wand, die mich stoppen wollte,
Zeichen waren darauf gemalt, die sagten: Privatbesitz)
Also. This Land is MY Land!

Klingelt was bei Euch?
Vielleicht erstens, dass ich den Liedtitel falsch wiedergegeben habe: Richtig beginnt er mit „This Land is Your Land“ – Dein Land. Und danach komme ich erst mit meinem Land(-anspruch).
Und wohl zweitens: Das ist ja in unserem Land gerade die Frage, wie sehr und ausschließlich es unseres ist – oder vielleicht doch auch das Land für Menschen aus unbeschreiblichen Katastrophen?
Die Flüchtlings-Bus-Blockierer von Clausnitz und die Flüchtlingsheim-Anzünder und Brand-Applaudierer in Bautzen sind davon überzeugt, dass das Land  ihnen gehört, nur ihnen. Das Unrechtsbewusstsein für ihr Handeln ist dementsprechend unterentwickelt.

„This Land is my Land“ and not Your Land scheint jetzt aber inzwischen auch die Haltung fast aller europäischer Regierungen zu sein. Besteht nicht ein Recht darauf, das eigene Land zu schützen, zu verteidigen?
Schützen doch sogar die 10 Gebote das Eigentum („du sollst nicht stehlen“) vor allen möglichen Begehrlichkeiten („Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört“).

Auf der anderen Seite wird im Alten Testament das Volk Gottes immer und immer wieder daran erinnert, welche Flucht- und Migrationsvergangenheit es selbst durchgemacht hat: „Ihr seid Fremdlinge gewesen in Ägypten.“ Und auch dass die Erde Gott gehört, und das Land den Menschen nur geliehen ist. Sollte deshalb nicht jeder Mensch auf Gottes Erde einfach da leben können, wo er leben möchte? Habe ich mehr Recht auf Wohlstand und Sicherheit, nur weil ich schon mit dem Bonus geboren bin, Mitteleuropäer zu sein?

Andererseits, wieviel verträgt unser Land, um nicht auch in einen Sog nach unten gerissen zu werden, und am Ende hat keiner mehr Wohlstand und Sicherheit?

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Der aktuellen Diskussion stünde es gut an, die Spannung zwischen diesen Polen  auszuhalten, ehrlich zu sich selbst und zu anderen zu werden, die Würde des Menschen nicht anzutasten und zugleich Probleme zu benennen, um sie zu lösen – statt vollmundige und zugleich völlig unsachgemäße Propaganda und Schuldzuweisungen von sich zu geben.

Wie leicht geht in der Diskussion und im Handeln verloren, dass wir es mit Menschengeschwistern zu tun haben. Amnesty International beklagt heute, dass die Staatengemeinschaft völlig versage und die Einhaltung der Menschenrechtung in hohem Maße vernachlässigt werde.

Ahnungslosigkeit, bewusste Fehlinformation und Ignoranz übernehmen statt dessen die Führung. Darüber zu lamentieren oder zu schimpfen, bringt allerdings überhaupt nichts und verschärft nur die unselige Schubladisierung.

WP_20160218_009In Schwäbisch Gmünd benutze ich ausnahmsweise ein Taxi, um vom Bahnhof zu den Christlichen Gästehäusern „auf dem Schönblick“ zu kommen: Gnadauer Mitgliederversammlung mit dem (zumindest ursprünglich als solches gedachten) Hauptthema der Flüchtlings-Aufgabe.

Der Taxifahrer erzählt mir auf meine Nachfrage stolz, welche Verbesserungen die Landesgartanschau seiner Stadt gebracht habe. Da sehe ich im Vorbeifahren zu meinem Erstaunen eine imposante Moschee.

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Moschee in Schwäbisch Gmünd

Natürlich befrage ich ihn dazu. Er erzählt, dass da Freitagnachmittags Hunderte Männer vor der Moschee stehen: „Ich hätte da überhaupt keine Zeit.“ Über meinen Hinweis, dass wir in Deutschland Religionsfreiheit haben, und die das Recht haben, sich auf der Arbeit freizunehmen, zuckt er nur die Schulter. Ich erzähle ihm von Angela Merkels Antwort auf die Frage, was sie gegen Islamisierung zu tun gedenke: Dass die Christen deutlicher zu ihrem Glauben stehen sollten. Darauf der Taxifahrer: „Ja meine Sie, des die Leut in d’Kirch neihoppe sollet?“ Nein, sage ich, dass sie ihren Glauben im Alltag erkennbar leben.

Und wie wir in Berlin erleben, dass syrische Flüchtlinge häufig sehr interessiert daran sind  zu verstehen, was der christliche Glaube eigentlich bedeutet.

Er wird aufmerksam und fragt weiter, wie das denn in Berlin mit den Flüchtlingen sei und überhaupt den Parallelgesellschaften, wo sich die Polizei nicht mehr hintraut. Seinen Fragen entnehme ich, wie wenige Skandalmeldungen der Medien sein gesamtes Weltbild prägen. Dass ich abends kein Problem damit habe, allein durch Neuköllln zu laufen, oder früher in Köln Mülheim durch die Keupstraße, kann er sich kaum vorstellen. Ich verschweige oder verharmlose die Probleme nicht, aber ordne sie in die Realität ein, wie ich sie beobachte. Ich erzähle ihm, dass die Mischung an ehrlichen und andere ausnutzenden Flüchtlingen nicht viel anders sei, als bei den Einheimischen. – Und das Faszinierende: Er glaubt mir und ist erleichtert. Ganz so schlimm ist alles ja doch nicht, wie die Medien es darstellen. Seine Angst ist kleiner geworden!

Ich glaube, dass vor allem solche Gespräche geführt werden müssen, täglich, bei jeder Gelegenheit. In Michael Endes unendlicher Geschichte ist der Riese Turtur nur von der Entfernung furchteinflößend riesig und entpuppt sich beim Näherkommen als Scheinriese.

Lasst uns die Scheinriesen entzaubern, damit wir uns wieder den wirklichen Problemen zuwenden können. Denn sie sind schon von der Art, dass sie unsere ganze Kraft fordern.

In unserem Flüchtlingzentrum in Spandau werden endlich nach monatelangen zähen Verhandlungen und mühsamstem Behörden-Dschungel die notwendigen Sanitäranlage und „Kabinendörfer“ eingebaut, WP_20160214_017und die Infrastruktur für Sprach-, Bildungs-, Kinderprogramme und geistliche Angebote geschaffen. Wenn alles eingebaut ist, werden dort ab Sommer 2000 Flüchtlinge (Not)Unterkunft erhalten.

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Am 06. März werden wir das Jahresfest der Stadtmission genau dort feiern und zu Gast sein bei den Flüchtlingen. This Land is Your Land, this Land is My Land.

Wieviel Unkenntnis und Vorurteile entlarve ich aber auch immer wieder bei mir.

Ich lese gerade ein sehr bewegendes Buch über die Roma in Berlin, geschrieben von einer Dolmetscherin, die seit einigen Jahren Beratungsarbeit macht und Roma zu Behörden, ins Krankenhaus, zur Caritas usw. begleitet. Lauter kleine Episoden, die meisten erschütternd. Manche aber auch von wunderbarem, kindlichen Charme.  WP_20160224_003

Ich erfahre etwas über die (in diesem Fall) rumänische Heimat und den Grund für die Flucht aus diesem schönen Land: Während der Ceaucescu-Diktatur hatten die Roma Arbeit in staatlichen Fabriken. Nach dem Zusammenbruch aber wurden sie alle auf die Straße gesetzt – ohne Chance, wieder Arbeit zu finden. Und ich erfahre, dass es in Berlin eine Sonderkommission der Polizei gibt zur Aufklärung von Straftaten, die an! Roma begangen werden: Betrug mit Wohnungen, nicht ausgezahlte Löhne nach monatelanger (Schwarz-)Arbeit auf dem BER-Flughafen, Haustürverkäufer, die die Unsicherheit und Sprachunkenntnisse schamlos ausnutzen. Und über den tagtäglichen Kampf um die paar Euro zum Überleben: Metallsammeln, Zeitungen verkaufen, Straßenmusik machen. Denn wer vom Jobcenter nichts bekommt, bekommt auch sonst keine Unterstützung.

Ich denke an die junge Romafrau, die täglich auf der Fußgängerbrücke unter der S Bahn am Bahnhof Friedrichstraße auf dem Boden sitzt und Akkordeon spielt: Immer über dem gleichen Bass traurige Melodien improvisierend, alles andere als virtuos. Ich hab ihr noch nie was gegeben, obwohl Staßenmusiker bei mir sonst ganz gute Chancen haben. (Habe ja selbst im Studium zusammen mit einem befreundeten Geiger meine knappe Kasse aufgebessert – ausgerechnet mit Zigeunermusik.)

WP_20160222_001-ausschnitt 2Am Montag, auf dem Weg zur Albrechtshofandacht, ist sie nicht dort. Statt dessen sitzt da eine ältere Frau mit dem Akkordeon, die ihre Mutter sein könnte – und die noch weniger Musik zustande bringt. Ich traue mich nicht sie anzusprechen und zu fragen. Warum eigentlich nicht? Wenn sie mich nicht versteht, ist doch nicht schlimm.
Auf dem Rückweg von der Andacht lege ich 2 € in ihre Dose. Aber wieviele begegnen mir allein an diesem Tag noch in wahrscheinlich ähnlicher Situation. Abends sagt Christiane: „Heute war jede Fahrt anstrengend, keine Bahn, keine Station, wo ich nicht angebettelt wurde.“ Lösbar ist das überhaupt nicht.

This Land is Your Land, this Land is My Land? Das Gefühl haben auch viele Einheimische nicht. Ein Bewohner aus unserem Obdachlosenheim in der Kopenhagenerstraße ist im Januar an Organversagen wegen Alkoholismus gestorben. Ich mache (auf dem katholischen Friedhof in Mariendorf im Berliner Süden) die Beerdigung mit einer kleinen Trauerfeier am Grab. Anwesend außer dem Friedhofsmitarbeiter und mir ist noch ein Bewohner aus dem Heim und die Leiterin der Einrichtung. Immerhin. Die vorigen beiden Urnen hat der Friedhofmitarbeiter ganz allein in die Erde versenkt. Er ruft dann laut über den Friedhof: „In Gottes Namen“.

Als wir fertig sind (also über 20 Minuten zu spät), kommt der beste Freund, der ihn tot im Zimmer gefunden hat, mit seiner Familie. Mit denen nochmal zum Grab. Als wir dann alle zusammen wieder an der Bushaltestelle stehen, kommen nochmal 4 Heimbewohner, denen man die gleiche Krankheit ansieht und -riecht, wie sie der Verstorbene hatte…

WP_20160223_001Am Ende bleiben Grasstücke mit Namenstäfelchen und vereinzelten Blumen.

Ich predige über: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst: Mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt (Ps. 8). Ist doch der Mensch gleich wie nichts (Psalm 144).“ Unsere Würde, wie auch immer das Leben verläuft: „Dass Gott ihn ansieht und sich seiner erbarmt.“ Die Heimleiterin fühlt sich sehr getröstet. Die letzte Beisetzung aus dem Haus war ohne geistliche Begleitung. „Fürchterlich deprimierend“.

Ist das meine Aufgabe? Eigentlich nicht. Aber wenn sonst keiner kann.
Die Würde des Menschen ist unantastbar…
This Land is Your Land!